Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Glocken versprochen, wer weiß woher. In Jerichow hieß es, so benähmen sich die Sowjets nur gegen Pastoren, die aus einem Konzentrationslager gekommen seien. Aber der katholischen Pfarrei, ohne solchen Ausweis, machte K. A. Pontij seine Aufwartung auch (und bat Böhm, Brüshaver doch eine Glocke abzugeben, wenigstens die kleinere). Wenn das Atheismus war, so doch einer mit frommem Gesang und Glockengeläut dicht an der Villa der ungläubigen Kommandantur.
– Public relations: sagt Marie. – Kluger Bursche: sagt sie, wenn das die Übersetzung ist von smart cat. Sie denkt über K. A. Pontij so innig nach, fast belustigt, als sollte sie eine Freundschaft mit ihm erwägen (wie die Gesine Cresspahl von damals. Wie ich!). Gründlicher hat sie zu tun mit dem Einschlafen, lang ausgestreckt unter dem Laken, atmend als zähle sie jeden Zug. Immerhin ist ihr hier eine Öffentlichkeitsarbeit aufgefallen.
– Nein. Du versiehst dich in der Gegend.
– O. K., Gesine. Also ich spreche über Leute und Zeiten, die versteh ich nicht. Also anmaßend, altklug, ausländisch. Du beweist es mir.
– Nein. So denke ich nicht von dir. Wer überhaupt –
– Never mind. Beweis es mir.
– K. A. Pontijs amtliches Benehmen gegen die Kirche, es paßt nicht zum Jahr 1953, und Ostdeutschland war da lange nicht souverän.
– Paßt der Pontij von 1945 in das Jahr 1953?
– Er war nicht mehr in Jerichow. Wir hörten schon lange nicht von ihm.
– Also kaum. Also 1945.
– Cresspahl ließ Leslie Danzmann eine Notiz machen von jeder Vergewaltigung, die ihm gemeldet wurde, mochte die nicht einmal in der Stadt und Feldmark Jerichow vorgekommen sein, sondern im Kommandanturbereich Rande oder auf den Gütern. Es waren nicht wenige, und Cresspahl beschrieb da nicht nur den Tatort. Abends gab er sie ab bei Herrn Wassergahn in der Kommandantur, und weil der Kommandant sie nicht immer gleich lesen konnte
– gab es große nächtliche Anrufe, Sitzungen, schwere Vorwürfe unter Freunden.
– Ja. Anfangs wird K. A. Pontij es im Guten versucht haben. Mit der Geschichte junger Männer, zu lange weg von zu Hause, zu lange allein, Cresspahl als Mann, K. A. Pontij als Mann –
– So unter Männern. Mit vertraulichem Rippenstoß.
– So. Ohne Stoß in die Rippe.
– Cresspahl wollte nicht.
– Und bekam zu hören von jungen deutschen Männern, zu lange weg von zu Hause, zu lange allein –
– Und ließ K. A. Pontij erschießen. Wegen des Vergleichs. Rote Armee und faschistische Mordbrenner.
– Ja siehst du. Daß es einmal galt, ein andermal todeswürdig war.
– Verstehst du nicht.
– Verstand Cresspahl nicht.
– Und wurde erschossen.
– Zum Erschießen verurteilt, wenn er noch ein Mal eine solche Meldung anbrachte ohne Name, Rang, Truppenteil und Einheitsnummer des Täters. Für nicht belegbare Verleumdungen der Roten Armee Todesurteil.
– Und für belegbare?
– Erschießen. Das versprach er Cresspahl, und
– der Wodka kam wieder auf den Tisch. Alles sollte gut sein.
– Und Cresspahl bekam ein großes Schild an die Haustür, und eins an die Hintertür, und alle Flüchtlinge unter seinem Dach bekamen einen Sonderausweis
– Off limits. Off limits!
– Und K. A. Pontij sagte noch lange, und mehrmals, fast wie Avenarius Kollmorgen, schiefköpfig, erinnernd: Zufrieden, Burgmister? Zu Frieden?
– Gesine, was für ein Gewaltverbrechen war denn das?
– Vergewaltigung. Ach vergiß es.
– Eine Wassertonnengeschichte?
– Nein. Aber ich hab vergessen, es auszulassen.
– Gesine, ich bin zehn Jahre alt. Werde elf.
– Very well. Ein Mann wendet gegen eine Frau Gewalt an, zwingt sie mit ihm –
– Ach das.
– Woher weißt du von Vergewaltigung?
– Du meinst rape, oder?
– I mean rape all right.
– Gesine, was ist das Thema Nummer Eins bei weiblichen Personen in New York? Hörst du nicht hin, wenn die Damen ihre Geschichten vergleichen im Schwimmbad unterm Hotel Marseille? Soll ich mal Mrs. Carpenter nachmachen?
– In eurer Klasse ist es Nummer Eins?
– Anderthalb. Und nun gib zu, daß Öffentlichkeitsarbeit Herrn K. A. Pontij am Herzen liegen mußte.
– In New York wirst du mir nicht alt, Marie.
– Du bist in Jerichow, Gesine. In Mecklenburg, Juli 1945.
– Ja. Pontij fragte seinen Bürgermeister in der ersten Woche: Warum sehen die Deutschen uns, ihre Befreier vom Joch des Faschismus, wieso behandeln sie uns wie den Satan?
– So ein negativer Theist.
– Cresspahl verschwieg ihm, daß die Engländer ihn
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