Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
hat wieder kein Schwimmbad im Park. Ist der Preis richtig?
– Richtig, Gesine. Soll die Stadt ihnen eins bauen. Es steht ihnen zu.
– Einverstanden.
– Gibst du bloß nach, oder denkst du nun tatsächlich wie ich?
– Wie du.
– Noch was? Kann ich dir sonst noch behilflich sein?
– Punkt Vier in deinem Flugblatt. Das I. D. A.
– Dieses blutige Institut arbeitet für den Vereinigten Generalstab! Sie werten Waffensysteme aus, sie betreiben Forschung für das Pentagon, sie helfen der Regierung beim Nachdenken über die Bekämpfung von Aufständen!
– Es gibt das Institut schon seit 1955, und das Massachusetts Institute of Technology hat es gründen helfen. Warum war es damals nicht falsch? Und Columbia ging erst 1960 in den Verein. Wieso war damals nicht die rechte Zeit?
– Weil wir inzwischen einen Krieg haben, und sie arbeiten gegen Viet Nam.
– Waren die Studenten 1955 und 1960 nicht wegen der Atombombe auf der Straße?
– Zugestanden, Gesine. Die Studenten haben sich also verspätet.
– Und noch einmal. Schon seit März war die Universität nicht mehr als Körperschaft Mitglied im I. D. A. Wenn da Professoren von Columbia tätig waren als Mitarbeiter oder Berater, taten sie es für sich selbst.
– Wie kannst du das wissen?
– Rat mal. Von einem künftigen Kriegsverbrecher, in privaten Kreisen der Stadt bekannt als D. E.
– Diese Besserwisserei der Erwachsenen, es riecht so oft nach Verschwörung.
– Marie, warum verlangen die Studenten Ende April, was die Universität im März längst getan hat?
– Na, ja. Verspätung.
– Sollte die Universität jeden Professor aus ihren heiligen Mauern weisen, der von seinem Auftrag beim I. D. A. nicht lassen will?
– Genau.
– Davon steht nichts in deinem Flugblatt.
– Ach, Gesine. Und solche kleinen Ungenauigkeiten –
– Ungenau ist es.
– Das reicht dir, und du bist nicht einverstanden?
– Es reicht mir.
– Als ob du ne unpolitische Frau wärst!
– Vielleicht hab ich zu lange an der Politik gelernt, und kann es nun nicht mehr anwenden.
– Wenn ich dich jetzt einladen würde zu einem Spaziergang um die Columbia, kämst du mit?
– Ja.
– Um den Studenten zu zeigen, daß du auf ihrer Seite bist?
– Riverside Park, oder die Promenade am Fluß wär mir ebenso recht, Marie.
– Und ich hatte gehofft, du lügst. Du täuschst mich, du willst mich bloß herausfordern.
– Nein. Es ist so.
– Wenn ich nicht wüßte, daß du heute gearbeitet hast –
– Es ist nicht Müdigkeit von heute, Marie.
– Wenn du nicht jeden Tag etwas versuchen würdest für deinen Sozialismus in einem fremden Land –
– Was dann.
– Ich möcht dich nicht kränken.
– Sag es mir.
– Wie gehen deine Geschäfte, sozialistischer Weizen aus Kanada, und all das?
– Sag es mir.
– Es war doch einmal auch deine – sagt man »Alma Mater«?
– Es war einmal ein Geschäft, in dem hab ich vier Semester Volkswirtschaft gekauft. Da war ich Kundschaft, habe bezahlt und bin nicht zufrieden.
– Wie gehen also deine Geschäfte?
Das Parteisekretariat der Kommunisten in Prag streitet es ab, daß die sowjetischen Freunde die Lieferung von Weizen gekündigt haben. Ein wildes Gerücht sei das. Im Gegenteil sollen sie aus Moskau einen Kredit von vierhundert Millionen bekommen gegen Waren, die die Sowjetunion sonst aus Ländern mit harter Währung bezieht. So sei es in Wahrheit. Nur daß eben die fällige Lieferung Weizen nicht angekommen ist.
2. Mai, 1968 Donnerstag
Heute berichtet die New York Times auch einmal aus ihrer eigenen Familie. Sie hat also zwei ihrer treuesten Neffen sichtbarlich erhoben in ihren ungetrübten Augen, und der eine findet, die Zeitung sei schon unter seiner bisherigen Aufsicht »im Aussehen leichter geworden, und lade mehr zum Lesen ein«. Sollten wir es nicht bemerkt haben? Er bekräftigt jedoch die hohen Vorsätze unserer Tante als unveränderlich: »Die akkurate, die objektive Zeitung sein, zu Protokoll. Reifen Bedürfnissen dienen durch umfassende Berichterstattung. Erklären, erklären und nochmals erklären – nicht im Sinn einer ABC -Schützenfibel, sondern um die Lücken für den Leser auszufüllen.« Wir werden es behalten, und nicht vergessen.
Nicht vergessen werden wir jenes Mädchen, das sich im Filmstreifen rechts oberhalb der Fahrkartenschalter im Grand Central unaufhörlich, immer wieder, in einem fort zum Ruhme einer Firma die Haare kämmt.
Das Kind, das ich war, es hatte seine Haare verloren am Typhus
Weitere Kostenlose Bücher