Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Die Mäherinnen waren weit hinter ihm, und noch weiter zurück liefen die Kinder durcheinander mit Garben, die zerfielen. Nun verlor er einen Vormittag und mußte wieder und wieder vormachen, wie Einer die Beine gegen den Boden stemmt und versetzt, damit die Sense ihn nicht umreißt. Und die Kinder, städtische darunter, konnten nicht begreifen, wie ein Strang Halme unterm Ellenbogen umzuschlagen ist, so daß er ein Band wird mit untergestecktem Knoten. Eins war dabei, seine Gesine, der machte ihr Eifer zwei Hände links. Gegen Mittag hatte er von der Mannschaft kaum mehr als das Versprechen, daß sie es weiterhin versuchen wollten. »Cresspahls Krüppelbande« hießen die in Jerichow, aber am zweiten Tag standen doch so viele Hocken, sie waren auf einen Blick nicht zu zählen, mochten die Stoppeln sich ansehen wie ein bewegtes Meer. Und jene Dummköpfe, die sich auf eine Verfügung Cresspahls meldeten, sie bekamen ihren Lohn zur Hälfte in barem Geld, zur anderen jedoch in Korn aus der vorjährigen Ernte, täglich abgewogen in Papenbrocks Speicher. Eine Zeit lang gab es Bürgersfrauen in Jerichow, die wären gern nachgekommen mit vergessenen Sensen, oder bloß zum Binden.
Dann wurden Frauen angegriffen von Genossen K. A. Pontijs, und kamen nicht zurück. Eine wurde zu spät gefunden, mit zerschlagenem Kiefer in einer Weißdornhecke, und starb auf dem Transport in das Krankenhaus. Der Transport war eine Pferdedecke, die war für vier Frauen zu schwere Last. K. A. Pontij wollte nicht verantwortlich sein für die Untergebenen anderer Kommandanturen, er hatte schon Streit mit dem Befehlshaber von Knesebeck. Dem war ein Armist zurückgekommen ins Quartier, der hatte Sichelwunden einen ganzen Arm entlang und im Rücken und sprach von einem faschistischen Überfall, es hatten aber nur Kinder ihre Mutter gegen ihn verteidigen wollen. Pontij fahndete in Jerichow nach den hitleristischen Werwölfen, und mehrmals sollte Cresspahl erschossen werden. Es folgte die Versöhnung, und Pontij erklärte sich feierlich bereit, den Freiwilligen eine Eskorte aus seinen Männern mitzugeben. Nun weigerten sich die Frauen, unter solchem Schutz zur Arbeit zu gehen. K. A. Pontij befahl das unverzügliche Einbringen der Ernte.
Es waren Männer übrig auf den Ackerbürgereien der Stadt, und sie hatten Maschinen zum Mähen, aber Cresspahl konnte sie nur mit Mühe auf die adligen Felder kriegen, diesmal aus rechtlichen Gründen. Die waren von den Plessens angesät, immer waren sie von den Gütern aus bewirtschaftet worden, war das Abernten da nicht Diebstahl? Wie anderswo in Mecklenburg galt es in Jerichow als Sünde, Korn auf dem Halm verderben zu lassen; mehr noch fürchteten sie den Zorn der weggelaufenen Eigentümer. Endlich konnte Cresspahl ihnen einreden, den Weizen eben nur vorerst zu retten, zu treuen Händen nämlich. Jetzt räumten sie ab über die Grenzen der Pachtverträge hinaus, bewachten auch das fremde Korn in der Nacht mit Knüppeln und mit Hunden (für die sie die neue Steuer nicht entrichteten). Wer sich hartnäckig widersetzte, dem beschlagnahmte Cresspahl die Maschinen, sobald sie mit der eigenen Mahd fertig waren. Er konnte sie auch leichter besetzen, nachdem er einer Familie in Jerichow keine Lebensmittelkarten mehr austeilte, wenn nicht wenigstens ein Mitglied arbeitete. (Als Unterschleif wurde angesehen, daß der Bürgermeister sich die Karte von der Gesine mit Arbeit erschwindeln ließ und Frau Abs sie für ihren Sohn bekam.) Das Wegführen der Maschinen galt als Zwang, und bei der Arbeit fehlte der Appetit, den das Eigentum macht, so gingen schon die Geräte leichter kaputt. Cresspahl hatte gut reden von einem Nutzen für die Stadt, geglaubt wurde ihm ein Nutzen für die Russen. Es war nicht günstig, daß auf den Wegen Rotarmisten bei Wettreiterei zu sehen waren. Schlimmer, es kam ein Trupp auf ein Feld in Jerichow-Ausbau und tauschte die Pferde vor einem Wagen aus gegen zwei abgehetzte Krücken, kriegsmäßig, mit vorgezeigten Revolvern. Der Wagen wäre immer noch zu schieben gewesen, wenn zwanzig Menschen sich in die Speichen stemmten; es wurde aber an diesem Tag weiter nicht gearbeitet. Abends kam Gesine an mit den kranken Pferden der Russen, die niemand hatte mitführen wollen, und wartete vor der Tür der Kommandantur auf Cresspahl. Cresspahl war schon innen zu Gange mit Verhandlungen über die Rückgabe eines von der Roten Armee »ausgeliehenen« Traktors, den der Herr Kommandant für eine Dienstreise nach
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