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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Ostern hätte es sein müssen!

    – Was geht’s dich an! du hast bloß mal da gewohnt! sagt Marie.
    – Da hab ich bloß mal gewohnt.
    – Hier aber haben wir eine Revolution, bloß zwanzig Blocks von unserer Haustür!
    – Hast du sie gesehen?
    – Den fünften Nachmittag heute! Selbst du solltest es wissen aus deiner Zeitung. Müßte deine Tante dir doch gesagt haben.
    – Sie hat verschwiegen, daß da ein fremdes Kind umherläuft zwischen den Polizisten und Studenten in der Columbia.
    – Laufen nicht. Da steh ich, wie andere Leute, und seh zu. Damit die Polizei nicht zuschlägt, wenn sie verhaftet.
    – Dann schlagen sie innerhalb der Grünen Minna.
    – Du kannst es einem verderben, Gesine.
    – Aber die Studenten haben gesehen: da paßt ein Kind auf, und ist mit ihnen einverstanden.
    – Es ist wenig, ich geb’s zu. Vielleicht lern ich aber, wie man es macht.
    – Für wenn du neunzehn bist.
    – Zeig mir was falsch ist! du bist verpflichtet zu meiner Erziehung.
    – Laß dich nicht verhaften.
    – Gesine, bist du nicht einverstanden mit den Studenten?
    – Oh, einverstanden.
    – Siehst du. Sie wollen ihre Universität verbessern, und so lange sie geredet haben, nun tun sie etwas, man kann es sehen. Es muß dir recht sein, daß die Universität die Sporthalle im Morningside Park nicht bauen soll, und daß sie raus soll aus dem I. D. A., dem Institut für Defensive Analysen, und es arbeitet für das Pentagon.
    – Es sind anständige Wünsche.
    – Sie haben aber nicht bloß Briefe geschrieben oder Plakate umhergetragen. Du weißt doch: sie sind in die Häuser der Uni gegangen.
    – Und haben sich verbarrikadiert mit Brettern von Bücherregalen.
    – Gesine, bist du gegen Gewalt? seit wann?
    – Gewalt gegen Bücher.
    – Ach das. Sie haben dem Rektor seinen Sherry ausgetrunken, sie haben geschlafen auf seinem grünen Teppich, da liegen nun Zigarettenstummel und leere Konservendosen.
    – Ein Schaden von einer halben Million Dollar, fast.
    – Ist nicht Columbia ein kapitalistisches Unternehmen? wenn der Kapitalist nicht nachgibt, soll er bezahlen.
    – Und kann die Leute scheu machen mit dem Vandalismus der gebildeten jungen Leute.
    – Also gut. Ein taktischer Fehler.
    – Und wieder nicht. Denn das sind die Spuren der Weißen. In Hamilton Hall aber, wo die schwarzhäutigen Studenten waren, lag weniger Abfall übrig. Hatten die nicht einen eigenen Reinigungsdienst für die Zeit der Besetzung?
    – Hatten sie. Ein Plus für den Afro-Amerikanischen Bund, wenn auch ein Punktverlust für den S. D. S.
    – Students for a Democratic Society.
    – Etwa nicht?
    – Gewiß, Marie. Und gestern morgen in der Nacht kam die Polizei und holte sie heraus. Siebenhundert Verhaftete.
    – Ein Mißerfolg, ein vorläufiger. Aber es ist nicht mehr so in diesem Lande, daß nur der Erfolg zählt.
    – Da wäre noch die publicity.
    – Gesine, du selber würdest zehn Dollar stiften als Kaution für die Inhaftierten, wenn dich bloß Einer fragt.
    – Fünfzehn Dollar. Aus Höflichkeit.
    – Ist es nicht revolutionär, wenn man für etwas kämpft zu anderer Leute Vorteil?
    – Es ist nicht eben egoistisch. Ist es revolutionär, wenn dann die erste Forderung lautet nach nichts als Amnestie?
    – Wenn sie straffrei bleiben wollen, vielleicht halten sie die Strafe für nicht gerecht.
    – Studieren können sie nur einmal im Leben?
    – Wenn du darauf bestehst, Gesine: Es sind Studenten aus der weißen Mittelklasse. Vielleicht wissen sie nicht genau, wo sie sind. Weitere Beanstandungen!
    – Punkt Zwei auf deinem Flugblatt da.
    – Baustopp für das Gymnasium im Morningside Park. Völlig in Ordnung.
    – Marie, die Universität hat der Stadt das Land schon vor sieben Jahren abgekauft, den Plan gab es seit 1959, und schon damals gehörte der Morningside Park den Leuten von Harlem, den Schwarzen, und eigens für sie kam ein Schwimmbad in den Plan, und die Sprecher der Schwarzen freuten sich für ihre Kinder. Was ist 1968 anders?
    – Daß man es schlechter sehen konnte.
    – Daß die öffentliche Abteilung, die für Harlem, unten war, und daß die Schwarzen sie nur von Osten her betreten sollten?
    – Nein, Gesine. Vielleicht wissen die Leute von Harlem jetzt besser, wer sie sind, und wollen von der Universität der Weißen keine Gnade und keinen Eingang durch die Hintertür.
    – Deshalb soll die Universität auf ihrer weißen Seite bauen, am Riverside Drive.
    – Ja.
    – Aus Würde, Respekt vor der von Harlem.
    – Ja.
    – Und Harlem

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