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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Gneez benötigt und dort vergessen hatte. K. A. Pontij war nicht ganz wohl zumute, es ging nebenher noch um einige Kanister Dieselöl, und er sprach recht obenhin von der Ukraine. In der Ukraine also trugen die Leute das Korn zum Dreschen zusammen, sie brauchten dazu nicht ein Fahrzeug, und dort schleppten also die Frauen und Kinder den Pflug, und überdies nehme die Milchleistung von Kühen erst nach vier Monaten merklich ab, siehe auch Erfahrungen in der schweizerischen Landwirtschaft. Als Cresspahl die kulturkundlichen Belehrungen angehört hatte, wiederholte er seine Frage. – Was für ein Traktor? sagte K. A. Pontij, verwirrt für einen Augenblick und ratlos auf längere Dauer.
    Die Pferde an Gesines Hand sah er an als ein Zeichen von Ehrlichkeit, Rückerstattung von Armee-Eigentum, und er winkte sie um die Hausecke in die Bäk ein. Das Kind wollte aber neue dafür haben, – noviye: sagte sie bei aller Angst vor einem Fehler in der Sprache, und Pontij erklärte ihr in einer leutseligen Art, das seien als Pferde nicht noviye, kein Vergleich mit ukrainischer Zucht! Cresspahl riß dem Kind die Zügel aus der Hand und verließ den zertrampelten Vorgarten der Ziegeleivilla ohne Abschied. In der Dunkelheit kam K. A. Pontij zu Besuch und drohte seinem Bürgermeister das Erschießen an, wenn er nicht die Versorgung der Stadt sicherstelle.
    Was dem Herrn Stadtkommandanten unbehaglich in Aussicht stand, war ein Vergleich mit der Wirtschaft unter der britischen Besatzung, er fragte Cresspahl einmal geradezu. Mein Vater dachte Pontij darin schmoren zu lassen, und er nannte die Herrschaft der Engländer über Jerichow erträglich, wenn nicht wohltätig. Ihre Verwaltung war gut gewesen, weil sie ihren Abreisetermin wußten. Sie hatten von den Vorräten gelebt, die hatten sicher acht Wochen ausgereicht. Als sie gingen, hatte die Bahn keine Kohlen mehr, sie konnte weder Milch nach Gneez fahren noch Kartoffeln mitbringen. Das Gaswerk von Jerichow hatte nach ihnen gelöscht werden müssen, nicht ohne Schaden für die Öfen; die Belegschaft trieb sich verdrossen und nicht geschickt auf den Feldern umher. Noch den Bäckereien fehlte es an Feuerung. Die Briten hatten aus den Lagern großzügig verteilt, Zucker und Salz und Öl, und vertrauensvoll hatten die Dörfer und Güter ihre Quoten an Schlachtvieh und Milch zu liefern versucht. Die Briten hatten Cresspahl aus der Stadtkasse zahlen lassen, was immer anfiel, ob Löhne, ob Rechnungen. Bei ihnen war sogar Schule gehalten worden, zwei Tage nach ihrer Ankunft. Ihnen war daran gelegen, westlichen Methoden ein gutes Andenken zu hinterlassen, damit die Sowjets es mit den ihren schwer hatten. Sie empfahlen sich noch aus der Ferne und schickten elektrischen Strom nach Jerichow von ihrem Kraftwerk Herrenwyk, und Pontij erfuhr es nicht mit Vergnügen. Cresspahl erwartete ungefähr einen Befehl, für Jerichow eine unabhängige Stromversorgung zu erbauen, aber er sollte nun erst einmal die Bevölkerung mit Nahrung versorgen, so gut wie bei den Briten, und in vier Wochen besser.
    Die Bürgermeisterei von Jerichow schloß einen Vertrag mit der Fischereigenossenschaft Rande, vertreten durch Ilse Grossjohann, über tägliche Lieferung von mindestens zwei Kästen Fisch. (Es war die alte Genossenschaft, die die Nazis aufgelöst hatten, mit dem Wohlwollen der Briten als Neugründung zugelassen.) Frau Grossjohanns Gegenforderungen wechselten oft, mal brauchten die Fischer Segeltuch, mal Nägel, mal Schmieröl, und nicht alles fand Cresspahl noch in Jerichow zu beschlagnahmen. Er sagte seinem Stadtkommandanten nichts von diesem Handel, und auch der erwähnte ihn nicht, aber nach einer Woche Laufzeit stand Pontijs Jeep morgens in Rande, und die Armisten verlangten die »Fische für Jerrichoff«. Frau Grossjohann hatte aus ihrer Dienstzeit bei Kollmorgen nicht nur etwas gelernt von Rechtsanwaltschaft, sie war inzwischen drei Jahre lang eine wohlhabende Fischersfrau, und sie bestand auf dem Vertrag als erfüllt, wenn auch mit Höherer Gewalt. Ehe Cresspahl noch losgehen konnte zur Beschwerde, waren in seinem Haus schon zwei Bund Butten und Knurrhahn abgeliefert, seine Nutzungsrate an Pontijs Sozialismus. Er schickte die Fische ins Krankenhaus, er verabredete mit der Fischereigenossenschaft neue Anlandestellen, Pontij kam ihm doch oft genug zuvor.
    Cresspahl wurde vom Verwalter des Sowjetgutes Beckhorst, der ehemals Kleineschulteschen Wirtschaft, eine Lieferung von Schlachtkühen, auch Milch angeboten.

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