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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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untersagen; er wollte ihnen den Appetit auf den frischen Geschmack nicht verdenken; er nahm nicht gern hin, daß sie ihn lächerlich machten bei der Versorgung der Stadt.
    Und wieder fing er an mit dem Geschäft auf eigene Faust, wie es durch die Ankunft der Sieger verboten war,
    die U. S. A. verwahren seit dem Ende des Weltkrieges 20 Millionen Dollar in Goldbarren der Č. S. S. R., als Pfand für beschlagnahmtes amerikanisches Vermögen. Die Leute in Prag bieten zwei Millionen für Rückerstattung und Erledigung. Die U. S. A. fordern 110 Millionen. Wer ist dran mit Bieten?
    und machte aus einem Elektromotor bei Alfred Bienmüller und einem Satz Gummibereifung in Knesebeck eine geschäftliche Gleichung, unter beträchtlichem Zusatz von Fensterglas und Motorenöl, und fand nicht mehr den Erntewagen in Rande, den er hatte fahrbar machen wollen, vielleicht aber einen Haufen frischsandiger Kartoffeln und Doppelzentner Weizen in fabrikneuen Säcken. Den Zivilpersonen war das Annehmen von Gebrauchs- und Nahrungsgütern aus den Händen sowjetischer Soldaten verboten. Für das Fensterglas aber war er im Wort, und die Kartoffelausgraber der Sowjets hatten aus der Bäk zwei Kessel fleischdickes Essen mitnehmen dürfen, wie er es für das Krankenhaus nicht beschaffen konnte.
    Eines aber gelang ihm inzwischen, und es bestürzte den Herrn Militärkommandanten nicht wenig. Wenn K. A. Pontij abermals sich betrug wie die wildgewordene Herzkönigin und ihm mit Hinrichtung drohte, vermochte Cresspahl freundlich und einverstanden zu nicken, ohne doch von seiner Sache wegzutreten. Es war wie mit der Katze von Cheshire, der der Kopf abgehackt werden soll, weil sie den König nur ansehen will, nicht aber ihm die Hand küssen. Sie zeigt aber von sich nur den Kopf, und ein wenig Lächeln. Der Henker will nicht einen Kopf abhacken, wenn da kein Körper ist, von dem er abgemacht werden kann. Der König befiehlt, daß allem der Kopf abgehauen werden kann, was einen Kopf hat, und nun Schluß mit dem Unsinn. Die Königin aber will jedermann im Umkreis hingerichtet haben, wenn nicht etwas geschieht in weniger als gar keiner Zeit,
    in less than no time, Gesine!
    ward hei di dotscheiten, Cresspahl?
    und der Kopf der Katze sitzt im Himmel und der Henker kommt zurück und die Katze ist verschwunden, Kopf und Lächeln und ganz und gar.
    4. Mai, 1968 Sonnabend Tag der South Ferry
    Das Lächeln der Katze von Cheshire ist noch mitgekommen in den letzten Traum, und mit ihm der Sonnenregen von gestern abend, der den Fahrdamm seitlich beleuchtete und schwarz machte, als das Geräusch der Autoreifen plötzlich zunahm. Minuten später verschwand die Sonne hinter einem dicken bläulichen Vorhang, wie vor dem Aufwachen heute das Lächeln der Katze von Cheshire.
    Marie hat das »Sonnabendfrühstück« hinterlassen, heißen Tee, dazu Toast in Servietten vergraben, alles auf einem Tablett, zur leichteren Beseitigung, dazu die New York Times frisch vom Broadway. Vielleicht lernte sie es doch, zu wohnen in einem Hotel in Prag.
    Zum Frühstück also hauen die pariser Studenten sich mit ihrer Polizei, weil einige von ihnen den Lehrbetrieb kontrollieren möchten und die Einrichtung des Kapitalismus umstürzen, den Boulevard St. Michel entlang, zum Beispiel. In Prag versammeln sich Studenten an der Statue von Jan Hus und statten der Kommunistischen Partei ihren Dank ab »für die gegenwärtigen Mängel an Wohnraum und im Verkehrsdienst, für miese Arbeitsmoral, für rechtliche Unsicherheit, für eine Währung ohne Wert, für einen niedrigen Wirtschaftsstandard«, und werden die Kommunisten eine Ansteckung vermuten? Vorerst streiten sie einmal ab, daß sie mit der New York Times jemals gesprochen haben über eine Sowjetanleihe von 400 Millionen Dollar. Wahr ist vielmehr, daß Herr Dubček eben erst nach Moskau geflogen ist, um über Goldrubel zu sprechen, auch solche Sachen wie Erdgas und rohes Öl, womöglich als Entgelt für die sowjetischen Schulden von 425 Millionen. Wahr ist vielmehr … und nennen die ehrenbedeckte Tante Times ins Gesicht hinein eine Dame, die sagt uns nicht die Wahrheit, und sie muß es uns weitersagen. Lahm, und übrigens setzt sie hinzu, der Genosse Dubček sei gestern abend in Moskau zu einem Wochenende angekommen. Wahr ist vielmehr …
    Da geht eine ihrem Kind hinterher, eine Person, eine Dame, ne Lady, ihr kennt mich nicht. Geht den Riverside Drive hinauf nach Norden, dicht an den Häusern, deren Zufahrten vom großen Damm durch bergige

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