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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Bauminseln abgetrennt sind, geht als wär sie da aufgewachsen und hat doch einmal die mächtigen Wohnkolosse unter ihrem verwitternden Zierat angestaunt von fern wie etwas, da wird sie nicht hinkommen. Hat hier aber Bekanntschaft und Freunde; guten Morgen, Mrs. Faure: uns geht es auch gut, wir besuchen ein Kind. Der Park ist nun ganz dicht verwachsen mit Blättern. Immergrüne stehen da nicht, im Winter ist er kahl. Die vor unseren Fenstern stehen, schimpfen die Fremden den Bergahorn, sie sind aber Maulbeerfeigenbäume, mit der weißlich braunen Borke, der Baum der Bibel. Jetzt, an der 100. Straße, wandert sie doch reinweg um das Denkmal der Feuerwehrleute, will nur die Tafel noch einmal lesen, die das Leben der Pferde rühmt, weil auch sie im Dienst starben, in the line of duty. Die Portale der Eckhäuser sind prächtiger, zu Rahmen für pompöse Erscheinungen ausgebaut; manche aber sind leer, staubig, doppelt verschlossen, und die Leute benutzen den Eingang in der Seitenstraße, wo sie nicht so unverhofft allein sind. Als ob nachts Räuber aus dem Park kämen. An der 113., wo eine die Freiheit liebende Rasse der Ungarn einen Lajos Kossuth auf den Sockel gestellt hat, sollen Leute von New York getrauert haben im Herbst 1956. Dahin wären wir nicht gegangen. Und an der 116. steht doch eine Fichte, ein Immergrün, versteckt in einem Hain. Werden wir sie im Winter sehen? Jetzt aber sind wir genug berganwärts gestiegen, längst auf der Höhe der Columbia-University, und hier steht der Klumpen aus Beton und Marmor, aufdringlich bescheiden eingepaßt in eine Reihe von Bürgerhäusern, blendend im Vormittagslicht, kahl und unzugänglich, ein fernöstliches Grabmal, das vielbestaunte Wunderwerk moderner Architektur in New York, mit einem ehrfürchtig gefaßten Stein aus einer schottischen Abtei von vor sechshundert Jahren in der Fassade, die Schule Maries.
    Die Schule hält heute ihren Frühlingsbasar, eingeladen sind die Eltern samt den Freunden, die doppelten Glastüren in der finsteren Durchfahrt sind doch nicht offen. Auch wir müssen uns erst aus der Loge ansehen lassen von einer Arbeitsschwester, ob wir etwa ein Messer im Ärmel haben oder einen Revolver auf dem Herzen. Es ist ein strenges Haus. Einen Mann ohne Schlips würden sie womöglich von hinnen schicken. – Sind Sie eine von den Eltern, Mrs. –?
    Eine von den Eltern. Cresspahl, Klasse fünf B. So ist es.
    Der Basar ist aufgebaut im Foyer und einem um die Ecke angrenzenden Klassenraum, eine ausführliche Veranstaltung zum höheren Ruhme des Budgets, über die ungeheuerlichen Schulgebühren hinaus, und nicht ein einziges Stipendium für ein Kind armer Eltern wird dabei herausspringen. Wir sind nicht gekommen, hier zu kaufen, wir suchen ein Kind. Hinter den Tischen stehen die minderjährigen Verkäufer, meistens Mädchen, und tun sich schwer mit dem wenigen Wechselgeld und dem Führen des Kontos. Hier wäre etwas aus Batik, da gibt es Gürtel aus Sacksband, dort eine Kette aus beinernen Ringen, und was man sonst entbehrt. Dies Mädchen gefiele uns, die mit den grünen, mit den grauen Augen, die mit den Zöpfen, die mit den kräftigen Schultern in der Uniformjacke, die uns so fremd betrachtet, als möchte sie uns hinaussetzen lassen aus dem heiligen Bau. Die geht hinter den Theken mit uns, hält uns die selbstgemachten Waren entgegen, nennt uns Preise, weist auf ein Stirnband zu einem Dollar zwanzig und sagt: Für zwölf Scheine, ist doch geschenkt, madam.
    Die führt uns zu einem Tisch im zweiten Raum, auf dem ein Puppenhaus ausgestellt ist, mit Seilen an Ständern abgesperrt, zu berühren verboten. Es ist kein städtisches Hausmodell, eher bäuerlich, niedrig unter einem ziegelrot und moosgrün bemalten Dach, sparsam eingeschnittenen Fenstern mit Kreuzstock. Dies Kind schlüpft unter den Kordeln hindurch, sie berührt das Haus. Sie hebt das Dach ab, hält es mit dem First nach unten, blickt uns auffordernd an. Na? Allerbeste Verarbeitung des Gebälks, das müssen wir sagen. – Der Fachausdruck ist Verzargung der Balken: sagt sie, und schon treten die Leute näher, Publikum geradezu, stellen Fragen. Auf dem entblößten Dachboden sind nun Kammern sichtbar, eine gefüllt mit Feuerholz zum Spielen. Ofenholz im Haus? – Vielleicht wurde es draußen gestohlen: sagt sie. Eine Räucherkammer hat das Haus obendrein, nur daß sie leer ist. In einer anderen ist das kahle Holz mit einem Mal altmodisch tapeziert, der Boden lackiert und bestellt mit Tisch und Bett und

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