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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Die brauchten Bindegarn, Rohöl, Leder für Treibriemen. Cresspahl konnte sich die Kühe denken als zähe alte Krücken, er wollte sie unbesehen nehmen. Es war ein Geschäft mit Umwegen. Dazu gehörte, daß die Stadt Alfred Bienmüller nach Beckhorst auslieh, damit er da den Motor und den Dreschsatz reparierte, für den Rohöl und Leder fehlten. Nur war Alfred Bienmüllers Geschäft die Vertragswerkstatt der jerichower Kommandantur geworden, und K. A. Pontijs Lastwagen gingen vor, besonders der eine, den er gegen ein Kabriolett eintauschen wollte, dem knesebecker Kommandanten zuliebe und zuleide, der Versöhnung wegen. Bienmüller beantragte einen Propusk nach Beckhorst wegen familiärer Umstände, und es ging nicht anders, als daß Pontij ihn unterschrieb und stempeln ließ. Milch war knapp in der Stadt, weil die einheimischen Kühe wie die aus Trecks requirierten auf sieben Gütern zusammengetrieben waren, die lieferten an die Rote Armee, nicht an die Landratsämter und nicht an die kreisfreien Städte, und die Kommandantur von Jerichow galt selbst unter ihren Freunden als Selbstversorger. Die Milch aus Beckhorst bekam Pontij nicht. Bienmüller ging in einer Nacht die Küste entlang, behob tagsüber die Schäden an den Maschinen des Gutes, wollte in der nächsten Nacht den Wagen voll Milchkannen nach Jerichow eskortieren. An der Waldgrenze wurde er vom Bürgermeister des Dorfes gestellt, der hatte Streit mit dem Verwalter der Sowjets und brauchte die Milch für seine Flüchtlingskinder, da die Bauern inzwischen Butter in Fässer stampften. Cresspahl berief sich nicht auf Höhere Gewalt, er baute diesen Teil des Handels um auf Salz gegen Butter, er schickte das Bindegarn aus Papenbrocks Vorrat. Die Kühe kamen bis auf die Rander Chaussee, von da trieb die Rote Armee sie in ihr kleines Versteck in der Bäk. Wenigstens mußte Schlachter Klein sie dort schlachten, nicht wo man ihn hätte sehen können auf seinem Hof; sein Schaufenster blieb leer. Ende Juli hatte es längst nicht hundert Gramm Fleisch pro Kopf gegeben. Cresspahl kam nicht auf den täglichen Viertelliter Milch pro Kind, den er für unentbehrlich hielt (wie Pontij auch. Aber er holte sich doch seinen beliebigen Anteil von der Molkerei, mit dem jeweiligen Bemerken, auch er habe in seiner Festung Kinder). Cresspahl wäre es lieber gewesen, der Befehlshaber der Fremden hätte den Deutschen die Lebensmittel entführt aus Haß, zur Strafe, seinetwegen; er kam nicht zurecht mit dem Spiel, das Pontij daraus machte, mit seelenvollem Nitshewo und herrenhaftem Shiskojedno.
    Cresspahl ordnete für jeden Hühnerhalter die Ablieferung eines Eis pro Tag an. Diese Eier sollten nur auf Abschnitte der Kinderkarten aufgerufen werden. Was er bekam, waren Anzeigen wegen Hühnerdiebstahls, besonders aus jenen Häusern, deren Hinterhöfe an den Grünen Zaun der Sowjets grenzten. Er brauchte den Hühnern nicht hinterherzugehen. Sie waren zu hören in der Bäk, die früher zu vornehm gewesen war für die Haltung von Federvieh. Weil die Diebe manchmal den abgerissenen Kopf von Huhn und Hahn in den wunderbar unverletzten Ställen hinterließen, fing in Jerichow das Schwarzschlachten von Geflügel an. Cresspahl konnte das verbieten. Er konnte sich bei Pontijs Festmählern die Taschen vollstopfen mit harten Eiern.
    Weniger fürchtete er »das bißchen Hungern«; es war noch keine Not, die würde im Winter kommen. Nur konnte er nicht das Gerede bewältigen, das unfaßbare, schleichende, nicht einmal tückische, sondern ergebene Geraune: es habe nichts einen Sinn, es werde alles zu Ende gehen, es sei alles für die Russen. Das konnte sich auswachsen zu einer wilden Angst, daran konnte die Versorgung der Stadt umkippen.
    Der Bürgermeister verfügte:
    Der Bedarf der Stadt Jerichow an Kartoffeln alter Ernte ist gedeckt
    und durfte das Aufnehmen neuer Kartoffeln vor dem 15. August 1945 verbieten. Verstanden wurde daran, daß er offenbar einen Mangel an Kartoffeln voraussehen konnte und am Ende doch die Stadt warnen wollte, im Grunde seines Gemüts doch ein Mecklenburger auf der Seite der Mecklenburger; in den Nächten stahlen die Bürger ihre eigenen Kartoffeln, versteckten sie in den Kellern, führten sie als neue Währung gegen die Flüchtlinge ein. Die Kommandantur Jerichow hielt einen Trupp Arbeiter auf dem Weg zum Korn auf und ließ sich einen Morgen neuer Kartoffeln ausgraben, und es war noch nicht einmal Ende Juli. Gewiß, der Bürgermeister hatte seinen Sowjets nichts zu

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