Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Schrank. – Ein Knechtezimmer: sagt einer der Umstehenden stolz und erstaunt, er bekommt ein Nicken und mag sich vorkommen wie ein gestreicheltes Pferd. Auf dem Dachboden, in den Abseiten, stehen hölzerne Kisten, Koffern nicht ähnlich, das bei Cresspahl abgestellte Flüchtlingsgepäck, und Marie erklärt, als sei dies ein Stück unbekanntes Altertum: Offenbar unternahmen die Bewohner des öfteren Reisen, ich meine außerhalb der Statistik. Dazu nicken die Erwachsenen. Unter dem hochgenommenen Dachboden kommt das Gefach der Zimmer zum Vorschein, links vorn das von Cresspahls Tochter, das nennt dies Kind eins für Gäste, daneben Cresspahls Schlafbüro, und die Führerin gibt es aus für die Rezeption. Sie zeigt die Möbel auf der flachen Hand, es sind aber Fremdkäufe aus dem Museum of the City of New York, und sie vermutet da einen flämischen Stil. Wenn sie kann, lügt sie, macht aus der Franzosenkammer eine Nähstube und aus der Speisekammer eine Werkstatt, alles in dem trockenen neu-engländischen Ton, den sie sich einmal von der Insel Orr mitgebracht hat; das rutscht so dahin mit Yessir und I’m sorry madam? Die Zuschauer diskutieren nun unter einander über den Baustil, einer ist für norwegischen Ursprung und hat dergleichen gesehen in Massachusetts, einem anderen will es bekannt vorkommen aus Holländisch-Pennsylvanien, und das Kind zuckt die Achseln dazu, sachverständig zwar, aber allen Ernstes überfragt. Endlich hat sie einen der Besucher zu der Frage gebracht, die die erste war. Was dies denn kosten solle. Wieviel dafür anzulegen sei.
– Zu verkaufen ist es freilich nicht: sagt das Kind. – Vielleicht aber wird es am Nachmittag versteigert.
– Nicht holländisch versteigert, sondern amerikanisch: sagt sie.
Auf so ein Haus bieten wir nicht, das lassen wir stehen. Das Kind, allerdings, das nehmen wir mit, fliehen vor den anschleichenden Lehrkräften und fahren unverzüglich zum Hafen, wo die Fähre wartet.
Sie selber war das Kind, das dies Haus gebaut hat, und als sie danach gefragt wurde, schüttelte sie den Kopf, unwissend.
– Eine von uns: hat sie gesagt.
5. Mai, 1968 Sonntag
Gib nun auf, Gesine. Heute paßt so gut wie morgen.
Ach was. Wegen einer Nachricht, »die Paris erreicht hat«.
Und in Le Monde stand.
Wer ist schon General Yepishew.
Alexej A. Yepishew ist der Chef der politischen Verwaltung der Sowjetischen Streitkräfte.
Ist er das Politbüro der K. P. d. S. U.?
Warum soll die Rote Armee nicht auch wieder mal ein Manöver wünschen? Militär sind die auch, Gesine.
Sie werden es nicht tun.
Yepishew will nur gebeten werden von gläubigen Kommunisten in der Č. S. S. R. Dann wird er kommen und ihnen ihren Sozialismus schützen.
Solche Altgläubigen sind längst in der Minderheit.
Brief genügt, komme sofort. »Die Rote Armee ist bereit, ihre Pflicht zu tun.«
Sie werden es nicht tun.
Sie sind in Ungarn einmarschiert, 1956.
Deswegen werden sie sich hüten.
Diesmal sollen ja auch noch »andere« sozialistische Truppen mitkommen. Zur Verteilung der ungünstigen Publicity.
Womöglich die Ostdeutschen. Die empfehlen ihren Sozialismus, noch einmal mit deutschen Uniformen in Prag.
Womöglich benutzen sie nicht nur Uniformen, Gesine.
Sie werden nicht mit Panzern nach Prag gehen. Nicht zwölf Jahre nach Budapest, 1968!
Bis heute hast du davon nur reden hören.
Es gehört dazu. Die Gerüchte machen eher ein andres Bild vollständig.
Gesine, am 23. April hat General Yepishew es gesagt in einer Sitzung seiner Partei. Gestern stand es in einer französischen Zeitung. Heute hast du es gelesen.
Ich hab schon Dementis gedruckt gesehen.
Und Pferde kotzen.
Nein! Nein! Hab ich nicht gesehen!
»So ein Kind zählt da gar nicht.«
Das wird die Rote Armee nicht tun.
Weil eine Gesine Cresspahl es glaubt.
Ja. Deswegen.
Der Herr Stadtkommandant von Jerichow, K. A. Pontij, er mochte mit einem Karabiner auf Vögel schießen, er mochte eine Katze mal streicheln mal wegtreten, er mochte Cresspahls Tochter hart anlassen, weil sie ihm den Weg vor seiner Villa nicht akkurat genug gefegt hatte, es verschlug ihr den Respekt nicht gänzlich. Sie war ihm reinweg dankbar. Er hatte die Leichen von ihr weggenommen.
Die Briten hatten tote Menschen öffentlich gemacht in Jerichow. Es waren die Häftlinge der Nazis aus dem Konzentrationslager Neuengamme, zwanzig Kilometer südöstlich von Hamburg, mit den mecklenburgischen Außenstellen Boizenburg und der Reiherhorst in Wöbbelin. In Neuengamme
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