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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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in der Schule.
    Womöglich hatte Cresspahl es zuwege gebracht, daß Ende September eine wahrhaftige Lokomotive auf dem Bahnhof Jerichow erschienen war, mit drei Personenwagen hinten dran. Nun fuhr morgens ein Zug nach Gneez, abends kam er zurück. Heinz Wollenberg war es zufrieden, daß seine Lise wieder ihre Lyzeumsklasse besuchen konnte, und er hatte seiner Tochter Höflichkeit gegen Gesine Cresspahl angeraten. Was Cresspahl tue, sei bloß Schuldigkeit. – Tag du: sagte Lise auf dem Bahnsteig, zum ersten Mal seit dem Juni; so fröhliche Unbekümmertheit war Gesine nicht geheuer, aber sie sagte: Tag, du.
    Cresspahl bezog im Monat 120 Mark plus 20 Mark Wohnungsgeld für eine Arbeit von morgens bis in die tiefe Nacht. Er konnte sich mit Tischlerei nichts dazu verdienen, er hatte weder Zeit noch Gelegenheit für Besorgungen auf dem Schwarzen Markt, er war vor einen Wagen gebunden, auf dem saß K. A. Pontij und die Rote Armee. Er hatte von dem Amt keinen Nutzen; sollte ihm der Schaden dabei gegönnt werden.
    Mochte er nun eine Registrierung der Fahrräder ausschreiben, damit sein Pontij einen Überblick bekam; es half doch ein wenig gegen die Dieberei.
    Nein, Cresspahl wurde noch gebraucht. Er hatte fertiggebracht, daß Jerichow Fisch aus der Ostsee bekam, wenn auch nur für das Krankenhaus; und auf Abschnitt 10 hatte es unverhofft eine Zuteilung Salz gegeben; er würde dem Landratsamt Gneez noch in den Ohren liegen, bis es Kohlen abgab für den Betrieb der Gasanstalt. Und jene durch und durch verluderten Engländer hatten Jerichow abgeschaltet von ihrem Kraftwerk Herrenwyk, die Stadt saß im Dunkeln; Cresspahl hatte für das Krankenhaus ein Stromaggregat besorgt im Tausch gegen Frau Köpckes Lastwagen und die letzten Reservereifen, die Swenson übrig hatte in seinem Versteck, die geschädigten Firmen waren zu Friedenspreisen getröstet worden und sollten leiser klagen. Denn würden sie den Anschluß Jerichows an ein östliches Stromnetz durchsetzen, oder Cresspahl?
    Als Mitte Oktober allen männlichen und weiblichen Personen im Alter von 16 bis 50 Jahren befohlen wurde, sich untersuchen zu lassen auf Geschlechtskrankheiten, »mit Erlaubnis des Herrn Stadtkommandanten«, war in Jerichow von einem Sieg Cresspahls über Pontij die Rede. Es kamen ältere Frauen und brachten Mädchen unter sechzehn mit. Pontij war nicht eingefallen, was nun fällig war, aber dem Bürgermeister von Jerichow. Es schien, als beginne nun Cresspahl zu führen.
    Die Stadtkasse Jerichow nahm neuerdings Steuern ein. Die neue Stadtbank, ehemals Raiffeisenkasse, hielt nicht mehr nur dem Befehl zuliebe offen von morgens zehn bis abends zehn, die Handwerker lieferten die Einnahmen täglich ab; es hatte sich herumgesprochen, daß das Geld nicht verschwand, sondern in Ausgaben verwandelt werden konnte, mit Formular und Unterschrift wie früher. Eine ärmliche Wirtschaft war es nun, ein hungriges Leben, eine kahle Stadt; aber Cresspahl hatte geholfen, sie in Gang zu bringen.
    Am 22. Oktober hatte Cresspahl Besuch von zwei sowjetischen Offizieren, die waren in Jerichow nicht bekannt. Es war abends, schon dunkel, die Bewegungen der Leute um den Jeep vorm Rathaus waren ungewiß. Leslie Danzmann konnte noch erzählen, daß Cresspahl ohne Gegenwehr mitgegangen sei. Nicht einmal die Petroleumlampe sei umgefallen. Dann wurde auch die Sekretärin Cresspahls verhaftet. Pontij erließ durch Fritz Schenk seinen Befehl Nr. 24:
    Im Interesse
    der Festigung
    der städtischen Selbstverwaltung
    und der Erhöhung
    der Arbeitsleistung
    der städtischen Wirtschaft
    und der Einführung
    einer strafferen Ordnung
    der Stadt Jerichow
    befreie ich Herrn Heinrich Cresspahl mit dem 21. Oktober 1945 von seinem Amt als Bürgermeister.
    23. Mai, 1968 Donnerstag
    Der Sprecher der westdeutschen Regierung nennt die Zahl. Die sozialistischen Nachbarn der Č. S. S. R. werden ihr zehn- bis zwölftausend Mann Spezialtruppen ins Land setzen. Die Geheimdienste, die gut unterrichteten Quellen in Prag wie in westlichen Hauptstädten nennen die Nachricht Quatsch. Richtig, es ist ja nicht einmal ein Datum angegeben.

    – Cresspahl hatte seinem Pontij einmal zu oft vertraut.
    – Zu lange, auch.
    – Psychologie der Erwachsenen, und all das. Nichts für Kinder.
    – Cresspahl hatte im September eine Nachricht bekommen. Für Dr. Salomon blieb der Deutsche ein Klient. Er hatte Mrs. Trowbridge und Henry Trowbridge gefunden. Sie seien am 14. November 1940 bei einem Angriff auf die britischen

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