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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Gebäudes auslief. In der Nachbarzelle waren zwei oder drei Stimmen; er blieb allein. Die Verabschiedung war feierlich. Die Jungen in der ausnehmend geschniegelten Uniform hatten ihn oft geleitet auf dem Weg zum Waschraum, mit sanften Stößen gegen den Oberarm, denn er kam ihnen blind vor; diesmal halfen sie ihm beim Abnehmen des Bartes und gaben warmes Wasser. Er bekam Uniformteile, unten Luftwaffe, oben Heer, zum ersten Mal seit siebzehn Wochen stank er nicht mehr nach Hühnerkot. Ganz allein auf der Pritsche eines verdeckten Lastwagens wurde er nach Süden gefahren, am verwischten Saatgrün vor dem Schweriner See lernte er wieder sehen. Es ging zum Sowjetischen Militär-Tribunal in der Hauptstadt, nun sollte er reden.
    – Die eigenmächtigen Entnahmen aus den adligen Konten.
    – Die hatte er erstattet, sobald genug Steuern eingegangen waren (so daß die jerichower Stadtkasse weiterhin nackt blieb bis auf den Boden). Vielleicht hatte er sich nicht entschließen können, auf solche Darlehen Zinsen zu berechnen, und dergleichen Verfehlungen gehörten zur Phase Eins.
    – Das Wecken mitten in der Nacht. Dann Zahlen aufsagen.
    – In Schwerin arbeiteten die Sowjets rund um die Uhr, da entschied der Terminspiegel, wann er in der Reihe war. Gewiß brauchten sie ihn Tage lang zu nichts, er lernte fast wieder eine Art Wohnen in der geheizten Zelle, dem reichlicher von oben einfallenden Licht; unverhofft in der Nacht holten sie ihn. Der Gerichtshof lief wie eine Maschine, die verlangte von den Angeklagten wie den Anklägern Trab und Schritt und aus dem Stand Galopp; Cresspahl konnte seinen Fallführern das nicht einzeln übel verdenken. Einer kam ihm militärisch vor, der andere als ein Fachmann für Buchprüfung, die wechselten einander ab. Sie waren auf seine Sache vorbereitet, die Akten aus dem Rathaus von Jerichow hatten sie auf dem Tisch, und anfangs sollte Cresspahl jeden Vorgang nur nacherzählen. Fand eine Geschichte schließlich Gefallen, durfte er sie nochmals abzeichnen. Sie sahen ihm dabei nicht mit Behagen zu, sie hatten eher Gegenwehr erwartet als daß er sich ein Urteil nach dem anderen unterschrieb.
    – Mit gutem Gewissen, Gesine. Er hatte sich nicht bereichert.
    – Es ging um einen anderen Vorteil als den seinen. Zwar war durch K. A. Pontij das bürgerliche Recht in Jerichow verbindlich abgeschafft, nur die neuen Arten von Schuld, die hatte er nicht erklärt. Die Herren beim S. M. T. Schwerin lasen Cresspahl das Gesetz Nr. 4 des Alliierten Kontrollrats vor, die verstanden es so, als gelte vorläufig das Recht, das am 30. Januar 1933 in Kraft gewesen war. Danach hatte er sich nicht richten können.
    – Was er getan hatte war genug Verteidigung.
    – Du Amerikanerin, du mit deiner Wahrheit! Sie ist doch benutzbar.
    – Was gewesen war.
    – Über seine Wahrheit hinaus wollte Cresspahl auch nicht. Da waren ja Neuigkeiten. Er hatte bei Böhnhase zwei Sack gerösteten Kaffee beschlagnahmen lassen, mit Erlaubnis der Staatsanwaltschaft Gneez, nur wurde das gehortete Gut ihm in Schwerin beschrieben als aus einer Straftat stammend, und war gar kein Kaffee mehr, und hatte sich wider die Natur verwandelt in Rohöl für das Lichtaggregat des Krankenhauses. Cresspahl sollte also gutsagen für die linken Hände, durch die der Kaffee vorher gegangen war, für eine ihm nicht bekannte Vergangenheit. So konnte er nicht denken, da unterschrieb er nicht. Die beiden Vernehmer hatten ihren Spaß an seiner Ungelenkigkeit. Sie gingen ein auf den Tick, daß er keine Namen nennen wollte als auf dem Papier standen, ihnen fehlten die Namen nicht, sie halfen ihm aus. Allmählich konnte er glauben, daß außer Leslie Danzmann auch Gantlik saß, und Slata, und Amalie Creutz, und Peter Wulff, Böhnhase und der Bürgermeister vom Dorf Beckhorst. Die Unterhaltungen blieben lange freundlich, er mußte nicht stehen, sein Stuhl wurde von der Kante des Zimmers an den Schreibtisch geholt, und bei kniffligen Erinnerungen stand er neben dem Vernehmer wie ein Mitarbeiter, über die Akten gestützt, suchend, blätternd. Weil er die Pfeife gewöhnt war, durfte er sich in der Effektenkammer eine aussuchen und fand ein nur wenig verdorbenes Erzeugnis aus England, mit gebogenem Mundstück, wie Uncle Joe es gebrauchte; das wurde bei Anfang der Sitzung aus der Schublade geholt und am Ende weggeschlossen, wie ein medizinisches Instrument. Manchmal bekam er sogar Krüll statt Machorka.
    – Uncle Joe muß ich wissen.
    – Mußt du wissen, du

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