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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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angegebenen Adressen abgeklappert hatten und nirgends einen Wohnsitz fanden, als der eine noch versuchte ihnen wegzuwitschen in einen vom Stoßverkehr zugedickten Subwaykeller, rief das Gespann der Streifenleute, einer nach dem anderen, an bei der Bürgerin Cresspahl mit der Bitte um Verzeihung und einem Dank, hatten sie doch mit ihrer Hilfe Pluspunkte gesammelt für die Führungsliste im Revier; rauschgiftsüchtig seien die Verdächtigen obendrein. – Sie haben richtig gehandelt, ma’am! Zügiges Anrufen bei uns, dann zischt es!
    Mittlerweile war der Mann mit dem Puder da und bepinselte die Fensterscheibe am Fußboden; weil Marie ihn beobachtete bei seinen Tätigkeiten, hätte er am liebsten das Fenster vollständig mitgenommen. Sein Begleiter hatte die Hebelspuren am unteren Rahmen gefunden und an dem Haken in der Außenwand, den die Fensterputzer für ihre Gurte benutzen, einen Gurt für Fensterputzer wie auch, auf dem Bürgersteig unterhalb des Fensters, einen umgefallenen Eimer mit Waschlappen drin.
    Bestehen wir auf einer Anklage, die dem N. Y. P. D. nur Mühe bereitet? Wir bitten um ein Protokoll.
    Es fehlen: ein Kofferschreibgerät mit europäischer Tastatur. Ein Kurzwellenradio, das wir allabendlich die Wasserstände der Č. S. S. R. aufsagen lassen. Ein Tonaufnahmegerät mitsamt dem Band von Sonnabend (abgängig: ein blondes Gift); überhaupt sämtliche Tonkassetten, die eben erst übermorgen angestanden hätten zum Versand an den Tresor eines Bankhauses in Düsseldorf. Eine Sammelmappe mit privatem Briefwechsel, und nur das Kleingeld, und gar kein Auslandsreisepaß. So in der Hetze, wa? (Außer daß der Besucher Muße gefunden hatte, die Toilettenschüssel fast bis an den Rand zu füllen mit seinem Unverdaulichen.) Und? eine Ledertasche aus der Schweiz, ein geräumiges Ding, mit eingeprägten Initialen. So zum Wegtragen fürs erste, bis zum Umpacken, klar? Ihre Anfangsbuchstaben mal fix, wenn’s beliebt.
    Als wir das Telefon von neuem berühren durften, wünschte das Fräulein vom Amt sich zu zieren wegen der Verleugnung aller Ferngespräche, die seit heute morgen gelaufen sein mögen von diesem Anschluß aus, ob nun nach Eugene, Oregon, oder Yokohama, Japan. Wie, Sie wünschen einen dienstlichen Nachweis? Bleiben Sie am Apparat. Ne quittez pas! Ich gebe Ihnen einen Vertreter des Reviers 23.
    Der Abend war noch hell, wir hatten das Zerbrochene und den splittrigen Schlamm beiseite, die mißhandelten Bücher auf gespannten Netzen ausgebreitet wie verwundete Vögel; auftrat Jason, Düsternis im Gesicht. Er hatte sich aufgerafft aus der Scham, daß uns dies betroffen hatte unter seiner Aufsicht, über seinem Kopf! denn er war tagsüber im Hause gewesen. Mit ihm kam Robinson Adlerauge, der tastete befangen in seinen harten Haarrillen, der hätte Wachdienst versehen sollen. Gemeinsam vermaßen sie die zertrümmerte Tür und fertigten bis Mitternacht eine ähnliche, wenn auch mit der Nummer 1201, aber frisch beschlagen mit Stahlblech, versehen mit unversehrtem Schloß und durch Nieten befestigter Kettenverriegelung. Weil solche Installation Lärm macht (damit den benachbarten Mietern verborgen bleibe, wie wir behandelt werden als begünstigte Kinder), baten sie uns zu Gast in die Hausmeisterei, zu Fernsehen, Eistee für die jüngere von den Damen.
    Beide zogen wir einen Spaziergang vor. Liefen hin und her zwischen dem verschatteten Hudson, durch die Katakombentunnel unter Henry Hudsons Autobahn zu den achtziger Straßen am Riverside Drive. Vielleicht suchten wir Marjorie. (Wenn jemals, Mrs. Cresspahl, die Stadt New York Ihnen Schaden oder Leides getan hat …) Es war zu spät am Abend. Nirgends war sie zu sehen.
    30. Juli, 1968 Dienstag
    Das sowjetische Politbüro, zum Großteil unauffindbar seit Sonnabend, ist gestern morgen neun Mann hoch ans Licht des Tages getreten, in fünfzehn grün angestrichenen Schlafwagen, die aus ihrer Grenzstadt Chop von einer rot/gelb/grünen Dieselmaschine auf das Gelände der Tschechoslowakei geschleppt wurden, in ein Anbaugebiet für Zuckerrüben und Weizen, nach Cierna, Leonid I. Breshnew an der Spitze, der an dem backsteinernen Bahnhofsgebäude begrüßt wurde von Alexander Dubček und fünfzehn seiner Berater. Küsse? Umarmungen? keine. Dreieinhalb Stunden Beratung, dann ißt jede Abordnung hübsch für sich allein in ihrem Eisenbahnzug.
    Kein Communiqué, außer wir fischen uns eines aus der Pravda, die den Gastgebern mitteilt auf Ehre und Gewissen: ihr Land

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