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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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sich mit dem nächsten Stockwerk, mit der Wohnung 204. Da gerade vor der die Kabine des Aufzugs sich bewegt, muß er auskommen mit wenigen Stichschlägen um das kluge dumme Schloß, mit einem wuchtigen Hieb, der die Verankerung der Kette vom Rahmen reißt (vier zweizöllige Schrauben). An dem Schlüsselloch sieht er, die Leute können hier von außen dicht machen; wenn allerdings jetzt was sich rührt, sind sie zu Hause. Stille. Rein. Den Messingzylinder notdürftig einsetzen, gefälligem Aussehen zuliebe. Was sieht er?
    Möbel von der Heilsarmee, aufgestellt auf Stabparkett (ohne Teppich), in lockerer Art, als sollte hier keiner dem anderen den Rücken zuwenden müssen. Luxus? ja, zwei Fenster gegen den lichten Westen des Riverside Drive, den waldlich anmutenden Park, das Geglitzer des Flusses in der Ferne. Rausgeschmissene Mühe. Hau ab, Mensch.
    Aber nein, vielleicht hat er Durst, für den steht links im Eingang ein gutmütiger Kühlschrank. Wenn einer wütend wird, weil’s darin fehlt, das kalte Bier, zieht er einen Gitterboden nach dem anderen heraus, da knallt es sanft auf den Fliesen, da vermischen sich Tomatenmark und Senf und Milch und Leberwurst. Von nun an hinterläßt er Spuren, unser Gast.
    Entlang der Rückwand des Mittelzimmers steht ein Gebäu aus Holz und Glas, kann einer sich erschrecken über die grünen Vorhänge. Ein Schlüssel steckt, aber wie kann man wissen, ein paar Hiebe kreuz und quer tun’s auch. Bücher. Und Bücher. In Büchern jedoch, zwischen den Seiten bewahren die Leute Geldscheine auf, den Tip hat er. Leere Bücher verärgern ihn, schmeißt er sie reihenweise von den Borden, auch solche, die sind zu alt für Stürze. Uebersicht der Mecklenburgischen Geschichte, von Paschen Heinrich Hane, zweitem Prediger zu Gadebusch, gedruckt im Jahre 1804, unbekannt bei ADB , NDB , Brunet, Kraesse, Kat. Schl. Holst. Landesbib., das bricht sich nun den mürben Lederrücken, desgleichen Die Geschichte von Meklenburg für Jedermann, in einer Folge von Briefen, Gedrukt in Neubrandenburg von C. G. Korb, Herzoglichen Hofbuchdrucker, 1791, Motto: Moribus et hospitalitate nulla gens honestior aut benignior potuit inveniri. Ja, denkste! Mit dem Absatz drauf.
    Der Sekretär, den uns die Dänin hinterlassen hat, blickt herüber mit Schubladen, alle mit Schlüsseln, die bricht man besser auf, desgleichen den verglasten Aufsatz. Ha, eine Beute! ein Ordner mit einer Aufschrift, die verweist auf Steuer, Steuer aber legt Gelder nahe. Vergrämt von bloß Bescheiden, wird man sie durch den Raum wirbeln, hinein in die schmierige Soße aus Eßwaren und Glassplittern.
    Zur Rechten sieht er verhängte Kristalltüren, die geben nach unter leichtem Fußtritt und zeigen ein Zimmer mit Flauschteppich, Kindermalerei auf der weißen Wand al fresco, ein Tisch mit einer Schreibmaschine. Ab trumeau, die nehmen wir!
    Die Mieterin hat ihr Kind ins Foyer geschickt, unter den Schutz der Hausleute, die Abgesandten des N. Y. P. D. zu erwarten. Die Mieterin wartet nun innerhalb, möglichst in der Mitte des Zimmers. Vor ihren gelassenen Augen geht die Außentür auf, rauschend im Gegenwind, ein Finger schiebt sich herein. Sie sagt zu der Hand: Marie, je t’en prie! aber der Körperteil gehört zu einem fremden Herrn, der zeigt ein halbes höflich verwirrtes Gesicht und stottert. Muß er doch sich versehen haben, so was Dummes, wird er gleich mal die Tür seitwärts der Treppe versuchen. Alles in schrittweisem Zurückweichen vor der Frauensperson. Sie betrachtet ihn beim Anklopfen nebenan, bis ein zweiter Herr hervortritt hinter der Wand des Treppengehäuses und seinen Freund, als seien sie unter sich, berät: Klug ist, wer den Hausmeister bemüht. Beide wanken sie gemächlich und verlegen abwärts vor dem unbewaffneten Weib, fangen zu laufen an erst im Stockwerk der Hausmeisterei, und platzen aus der letzten Tür auf die Sechsundneunzigste auf einen Streifenwagen zu, der klemmt sie in die Ecke des Bürgersteigs mit dem Brückenunterbau, weil die Bürgerin Cresspahl etwas aufgeregt ruft, nämlich auf italienisch: Al ladro! Al ladro! Fermateli!
    Dann ist Marie endlich über alle Treppen hinterher gekommen und sieht zum ersten Mal die Anwendung von Handschellen im Alltag. (Insgemein scheint es wie für sie gemacht, ein Märchen; ohne Fehler im Ablauf.)
    Zugegeben haben die beiden Herrn kein Stück, und die Polizisten wollten bloß einer (offensichtlich hysterischen) Dame den Gefallen tun, aber nachdem sie mit den Gentlemen alle

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