Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
Vom Netzwerk:
und gewonnen hatte sie lediglich Sonnenbrand an den Knien.
    29. Juli, 1968 Monday dirty Monday
    Gerecht betrachtet, unparteiisch besehen, wir lassen unsere Wohnung im Stich, wenn die eine morgens zu jener Ecke der West End Avenue zieht, an der ihr der orangene Bus des Ferienlagers versprochen ist, wenn die andere in der Subway sich wegreißen läßt von der Oberen Westseite zur Stadtmitte, der Wildnis der Arbeit; meilenweit entfernt und unbehütet lassen wir fünfundsiebzig Kubikmeter bewohnbaren Raumes hängen im wüsten Bauvolumen Manhattans; in einer Stadt, da versuchte ein würdiger Penner Marie zu berauben um die Einkaufskarre, die sie neben ihm durch ein Schaufenster im Auge behielt. Wo wir noch auf einer Bank an der Uferpromenade, im Gespräch mit Mrs. Ferwalter, eine argwöhnische Hand stützen auf ein Päckchen in braunem Papier, darin ist bloß Wäsche; der Verständigung im Gespräch abträglich. Wo zwar durchreisende Philanthropen ihr Bargeld nachzählen unter offenem Himmel, in Reichweite begehrlicher Zuschauer, und eine Mrs. Cresspahl riß dem vertrauensvollen Weltmanne Anselm Kristlein seine Börse erst einmal auf ihre Seite, ehe sie ihn um Entschuldigung ersuchte für vertrauliches Benehmen. Es trifft zu, wir haben eine Strafe verdient.
    Und erwartet. Der statistische Durchschnitt von täglich zwei Morden in den fünf Bezirken New Yorks, er läßt ein tägliches Mittel zusätzlicher Straftaten vermuten. Seit unsere Mrs. Seydlitz vertraute auf den Scharfblick des Portiers, der die Fahrstuhltüren ihres Hauses bewacht, und dennoch im achtzehnten Stock sich dem Messer eines Siebzehnjährigen gegenübersah, bedroht mehr von der Angst des Kindes als seiner Waffe, wir waren enttäuscht, gelinde schaudernd, daß diese Straßenbahn des wahrscheinlichen Alltags ohne Halt an uns vorüber fuhr. Denn nach sieben Jahren Anwesenheit hier, wir waren dran. Wir wollten hinter uns haben, was die Kriminalistik der Stadtverwaltung uns ansagt nach dem Maß für den Grad, in dem unverwirklichte Ereignisse möglich sind. Damit wir Ruhe haben, bis zum nächsten Durchlauf dessen, was fällig ist.
    Der Wonnen der Gewöhnlichkeit sind wir teilhaftig, seit Marie heute nach Hause kam zu einer Tür, darin wackelte das Sicherheitsschloß ohne Halt, so daß sie einmal gehorchte und sich zurückzog an den Fluchtweg über die Treppe; seit Mrs. Cresspahl das lahm hängende Stück Tischlerei mit einem (behandschuhten) Finger anstubste und gleich gegenüber in einem Sturmfenster zwei krumme Sprünge bemerkte. Marie kann inzwischen lachen über die verlangsamte Gebärde, mit der die Mutter sich ins Haar faßte, und tatsächlich war die Frisur noch fast so viel wert wie beim Verlassen des Schönheitssalons von Mr. Boccaletti. Die Wohnung sah aus, als sei sie hin.
    Wir kennen die Vorschriften, wir behielten die Abdrücke unserer Fingerspitzen vorläufig für uns, zum Telefonieren gingen wir in den Keller zu einem betretenen Jason. Aber ob New Yorks Polizei-Department seine Vorschriften kennt?
    N. Y. P. D.: Woher wollen Sie denn das wissen, durchs Fenster. Bürgerin Cresspahl: Weil es beschädigt ist.
    N. Y. P. D.: Haben Sie Kinder.
    B. C.: Eins.
    N. Y. P. D.: Na sehen Sie.
    B. C.: Schicken Sie nun jemand, oder wollen wir uns ein bißchen unterhalten?
    N. Y. P. D.: Wann sind Sie da eingezogen?
    B. C.: Mai 61.
    N. Y. P. D.: Und wann ziehen Sie da wieder aus?
    B. C.: Wünscht nun die strafverfolgende Exekutive den Schauplatz einer Straftat in Augenschein zu nehmen?
    N. Y. P. D.: Das Fenster können Sie doch selber wieder sauber machen.
    B. C.: Dann mach ich auf der Stelle kehrt und bitte eine private Agentur.
    N. Y. P. D.: Sie! Hören Sie mal, jetzt beruhigen Sie sich aber.
    Bis jemand auftrat von den Prächtigsten Jungen New Yorks in Blau, im Türrahmen gestrandet, konnten wir uns zusammenbauen, was hier gelaufen ist vor unserer Zeit. Die Zeit fehlt, die Weckeruhr ist abhanden. In irgend einer Minute seit 8 : 25 Uhr hat ein Mensch ein leeres Foyer am Riverside Drive betreten. In der Nummer 243, wo immer einer aufpassen soll für unser Geld, ob Robinson Adlerauge oder Esmeralda. Mit Blick zur offenen Treppentür links des Fahrstuhls, die laut feuerpolizeilicher Vorschrift geschlossen zu halten ist zu jeglicher Zeit. Wie oft ist uns schon die Rasierklinge in den Wachtraum gelaufen, die Bindfäden zu kappen, mit dem das Ding an die Röhren der Heizung gefesselt ist! Wer es eilig hat, wer hier fremd ist, der begnügt

Weitere Kostenlose Bücher