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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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Würd ich kaum raten zu, Genossin. Wo die Westmark doch fällt. (Damit sie wenigstens bei ihm etwas haften sehe von dem, was sie in ihrem Unterricht anpries als ein Gesetz der wirtschaftlichen Natur.)
    To be safe is better than sorry; Vorsichts halber ließ Pius eine Entschuldigung ausrichten an die Leiterin der gneezer Jugenddelegation (wegen Sonnenstiches; und durch Axel Ohr, damit Bettinchen eine Mitwirkung der Schülerin Cresspahl vermuten durfte); reiste nach Hause auf einer Strecke abseits derer, über die die Eisenbahner den Transport der Schule zurückschubsten. Horst Stellmann freute sich schlicht an der Heimlichkeit, unter der er den Film entwickeln sollte; Erwachsene sind so; ließ sich ablenken auf das westliche Firmenschild, ohne die Person darunter zu erkennen. Dabei beließ die Arbeitsgemeinschaft Pagenkopf/Cresspahl den Stand der Kampagne gegen Bettina Selbich; der jedoch war das unerfindlich. Sie hielt unseren blanken Mienen stand mit einem Hochmut, durch den schien für uns eine bebende Furcht. (Ihre grauen Augenbrauen waren ein wenig unegal; wie gern hatte ich das früher gesehen.) Hätten wir mit ihr verhandelt? vielleicht. Bis zum Ende der ersten Woche nach Pfingsten, may be, Marie.
    Marie begehrt zu wissen, ob Bettina denn ihren Schick noch hatte. Statt sich aus dem Staube von Gneez zu machen. Sich zu verziehen an einen Ort, da ist ihr täglicher Umgang erspart mit Schülern, die haben sie in der Hand und Tasche. Schon der Scham wegen. Das zu ergründen Marie, angesichts des westlichen Tors der Verrazano-Brücke im düster beschwerten Dunst von Staten Island, es ginge über den Verstand. Nach bloßem Trotz, und der dazu erforderlichen Kraft, sah die Selbich kaum aus. Es sei denn, sie hätte sich ausgerechnet in ihrem unegalen Blondkopf, das lichtbildnerische Beweisstück dürfte sie noch in Zwickau erwischen. Ob wir so gemein gewesen wären? In einem Notfall, gewiß.
    Jahreszensur für Pagenkopf in Gegenwartskunde: Zwei. Für Cresspahl: ebenso »Gut«.
    – Ihr Blick in Steglitz: erzählte Pius von jener Szene mit ertapptem Gendarm und hochherzigem Räuber am Bild, Schloßstraße Ecke Muthesius: als ob sie mich am liebsten gebissen hätte! Wie eine Schlange. (Manchmal war Pius jünger als ich.)
    Wir waren unter uns, gedeckt von der Steilküste westlich von Rande, umhüllt vom Brüllen der Ostsee. Es trifft zu, einer von uns hat die Beschreibung ausgebaut zu einem Schlangengift; unter uns. Es muß schon durch Osmose geschehen sein, daß Bettina S. zunächst in unserer Klasse, dann bei aller Schülerschaft besprochen wurde unter dem Spitznamen Das Blonde Gift, D. B. G., noch im Andenken so wohnt. Nach den großen Ferien 1950 brachte Julie Westphal ihr das Anhängsel bei; unter einem Anschein von Mitleid. Wir können von Glück sagen, daß die Urheber ihr durch die Lappen gingen; sie hätte doch immer an einen bösartigen Fund geglaubt, nie an einen unwillkürlichen, unser Blondes Gift.
    Was immer Übernamen auszusagen vermögen, über eines Menschen Umgang, Pius war beschützt von dem seinen und der Meinung, er hätte Bettina ihr Gewünschtes aufsagen dürfen in weniger gläubigem Ton. Die Schülerin Cresspahl hatte keinen; Marie nur einen für das erste Kindergartenjahr 1961/62 (our lil’ Kraut). Es ist diese junge Dame, das am meisten unbeirrte von den Kindern in Cresspahls Hause, keineswegs das mutigste, das kommt um einen Gefallen ein jenseits der Verrazano-Brücke. Die tschechoslowakische Reise stehe ihr der Maßen bevor. Ob wir noch einmal eine Probe machen könnten in dem Restaurant auf der Ostseite, wo die Leute tschechisch sprechen und sich benehmen.
    – Deswegen ein Kleid statt der Hosen! Deswegen hab ich ein Scheckbuch in der Tasche! In dein viel gehaßtes Svatého Václava wollen wir gehen!
    – Am Riverside Drive dacht ich noch, es ging ohne. Jetzt, glaub ich, brauch ich es.
    Auf den schuldigen Besuch bei seiner Mutter (in Cresspahls Haus) hatte Jakob sich besonnen. Eine fotografische Ansicht schickte er, privat gefertigt, im Format einer Postkarte. Ein langer Badesteg war da zu sehen, mit Turmstuhl für Lebensretter vor dem Inselsee von Güstrow, Booten im Wasser. Grüße von einem erweiterten Lehrgang übersandte Jakob. Wenn er log, so doch lediglich zu anderer Leute Bequemlichkeit. Ein Lehrgang hat Pausen. In Pausen kann man mit einem Mädchen Boot fahren. Dafür hatte Gesine Cresspahl nun die Pfingstsonne von Jerichow ausgehalten, in ihrem Westenkleid, bloß für Feiertage,

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