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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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Lieblingstochter mich einen Gelben nennte, eine kleben würd ich ihr. Aber ich finde, und meine die ganze Nation wenn ich sage: Wir alle können von Glück reden, daß wir diese Bauernbande in Viet Nam oder wie das da genannt wird wenigstens aus anderen Gründen umbringen als wegen ihrer gelben Hautfarbe. Die versteht nur, wer dazu gehört und weiß: Was Gelb Bedeutet. Ende des Zitats.
    Schließlich werden Sie zugeben, daß in New York oder in einer beliebigen anderen Stadt des Landes niemand umgebracht wird, weil er eine gelbe Haut am Leibe hat. Erstens geht es da um dunklere Schattierungen. Zum anderen ist dies ein freies Land. Sie müssen die Sache mehr gelb sehen.
    – kriegt viel Antwort.
    2. August, 1968 Freitag
    Die Times würde so gern berichten, die sowjetische und die tschechoslowakische Delegation hätten einmal gegessen mit einander, das Brot gebrochen. Aber auch ihr geben sie nur das Communiqué, darin steht was von einer Atmosphäre vollständiger Offenheit, Aufrichtigkeit und gegenseitigen Verstehens. Die wollen morgen in Bratislava noch einmal tagen, diesmal aber mit den Führern aus Polen, Ostdeutschland, Ungarn und Bulgarien. Ob die wohl umstoßen, was die Sowjetunion an der Gleiskreuzung von Cierna hat unterzeichnen mögen?
    Und wie war das Wetter im Juli? die New York Times hat es in Erfahrung gebracht und sagt Bescheid: Für die Jahreszeit zu heiß. Ungefähr um den 16. Juli muß es uns ein wenig erbärmlich gegangen sein. Jenen Dienstag, wir könnten ihn zur Hälfte entbehren. Don’t wish your life away.
    Ein jedes Kind, das sich erinnert an die Deutschstunden der Elf A Zwei 1950/51 in Gneez, unausweichlich wird es rufen: Schach! Schach!
    Mit dem thüringischen Praktikanten, dem Herrn Weserich, war die Arbeitsgemeinschaft Cresspahl/Pagenkopf schon gegen Ende der Ferien ein wenig bekannt geworden. Sie betrafen ihn auf einer Bank vor den Badehütten am Stadtsee zu einer frühen Zeit, da glaubte er sich allein und schraubte ein alumines Gestell zurecht an seinem linken Knie, unterhalb dessen das Bein fehlte. Wieder hielt er den Mund viereckig, nach Schmerzen sah er aus; wie sind wir erschrocken.
    Jedoch war er es, der anfing mit einer Entschuldigung. – Das wäre das: sagte er gelassen, als er sich von der Bank ins Stehen drückte. – Für Führer und Reich; geglaubt hab ich’s auch: fügte er hinzu, anheim stellend, voll Vertrauen auf unsere diplomatischen Künste. So war er schon ausgestattet mit einem Leumund, als die abgesetzte Frau Direktor Selbich ihn einführte bei uns, in ihrer versäuerten Art. – Wir lesen »Schach von Wuthenow«: kündigte er an; hatte uns klipp und klar seine Absichten dargelegt. Wie beängstigt wären wir gewesen, hätten wir sie begriffen.
    Deutsch hatten wir vier Stunden in der Woche; Weserich erzählte uns vom 5. Mai 1789 an das Lebensjahrhundert Theodor Fontanes. Er begann mit dem Grafen Mirabeau, dem Abgeordneten des Dritten Standes, er stellte seine Fallen öffentlich aus; wir übersahen sie. Er erzählte uns aus Fontanes Kinderjahren, seinen Zeiten in England und Frankreich, las vor aus Briefen an die Familie, car tel est notre plaisir. Sauberes Hochdeutsch, bei abwesendem Blick aus dem Gedächtnis zusammengesucht. Am 11. September leistete er sich die Stirn, uns zu ersuchen um unsere ersten Eindrücke von der Lektüre des erwähnten Werkes von Th. Fontane. Aus dem Blauen heraus, von einer Woche auf die andere, blanken vorfreudigen Blicks!
    Anita meldete sich, die wollte sich opfern; er übersah sie, lächelte ihr aber zu, ihr allein. Wir anderen, an die dreißig Mann hoch, durften ihm vorhalten, einen Abdruck davon gebe es nur einmal in der Bibliothek des Kulturbunds, in den häuslichen Bücherschränken seien bloß Sachen wie »Effi Briest« zu finden; versuchten ihm sein Vorhaben auszureden. Das Ende von diesem Lied war, er machte uns Komplimente, pries unsere Findigkeit; versprach einen wiederholten Auftritt seiner Erkundigung für den 18. September. – Wir werden uns ja des öfteren sehen: versprach er.
    Den uns geneigt zu halten, sammelten wir in dreißig Anteilen, was eine Abschrift von einhundertdreißig Druckseiten eben kostete bei Elise Bock; die Matrizen besorgte Pius bei einem Besuch in der Jugendkreisleitung. (– Du sollst dem Ochsen, der da drischt …: gestand er, aber nur innerhalb seiner Arbeitsgemeinschaft.) Bevor aber sie abgezogen werden durften, mußte Anita für uns auf dem Rathaus eine Ermächtigung und Bescheinigung von

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