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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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Jahren. Der Schreck dauerte einen Lidschlag lang. Dann war Ille die Ältere und sagte, kaum tadelnd, kaum besorgt: Gesine. Du bist utrætn.
    Gesine Cresspahl war ausgerissen von zu Hause, und Ille brachte ihr bei, daß der Zettel auf dem Küchentisch in Jerichow nicht ausreichte für Jakobs Mutter. Am gleichen Tag noch mußte sie œwe den Pahl zur Post mit einem Brief, in dem stand, sie sehe hier nach Verwandten. Es war die Wahrheit, sie hatte so etwas vorgehabt. Weiterhin brachte Ille in Schick, daß das Kind bei ihr unterm Dach schlafen sollte, wenn es ihr denn zu zweit nicht genierlich war. Es war doch wohl eigentümlich, zu Bauer Niemann in Arbeit und Brot zu wollen, wenn sie einmal angefreundet gewesen war mit Inge Niemann. Was das anging, was zu tun hatte Ille selber zu vergeben. Das war verstanden und ausgemacht von Anfang an: Gesine gehörte nicht mehr zu den Herrschaftskindern. Willkommen war sie, für Bett und Tisch mußte sie nun arbeiten.
    Was zu tun fing morgens an im Garten, da waren Wurzeln zu ziehen, Stachel- und Johannisbeeren zu pflücken, Beete umzugraben. Dreimal am Tag war Wasser in die Küche zu tragen, nur noch nach Eimern waren die Kartoffeln zu rechnen, die sie schälte, es gingen wohl acht Liter in die Milchkanne, die sie jeden Abend bei Grete Nagel füllen ließ. Es fehlte bloß, daß Ille sie an den Herd gelassen hätte. Eben aber um die gebührende Andacht zu bekommen fürs Kochen hatte sie Gesine angenommen. Gesine durfte einen Gurkensalat machen, Brote streichen. Auch sollte sie das Essen auf die Zimmer tragen.
    Denn Ille hatte Gäste, zahlenden Besuch aus den Städten, wie in früheren Zeiten. Nur eine Familie Flüchtlinge war dabei, die schickte sie allerdings aufs Feld zu den Bauern, da die sich besonnen hatten auf die Arbeitspflichten einer Büdnerei; wenn diese Biedenkopfs aus Rostock bleiben wollten über den Winter, würden sie Ille nicht mit Miete zahlen müssen, sondern mit Hilfe. Von den zeitweiligen Leuten nahm sie Geld, unbedenklich. Gesine begriff es erst, als eines Morgens im Schuppen hinter dem Haus zwei Ferkel waren, die sie nun obendrein versorgen mußte, als eine Nähmaschine abgegeben wurde und einmal ein Wäschekessel mit fast gar nicht abgestoßener Emaille. Was Gesine auf dem Fischland zu denken gehofft hatte, kam ihr kaum ein Mal in den Kopf vor lauter Beschäftigung; die volkswirtschaftliche Belehrung begriff sie und wollte sie Jakob weitersagen: die Flucht in die Sachwerte bekam vielleicht einen Termin.
    Auch von den Gästen hatte sie eine Meinung; freundlich war die selten. Es waren Leute aus dem britischen und dem sowjetischen Sektor von Berlin, aus Leipzig, aus der Landeshauptstadt. Einer nannte sich einen Maler, nur war er schon zehn Tage lang nicht beim Malen zu sehen. In alten Zeiten war so etwas der Gemeindeverwaltung gemeldet worden. Die anderen waren ein Arzt, ein ostpreußischer Landschaftsschriftsteller, der aus Schwerin verwaltete innere Angelegenheiten des Landes Mecklenburg und mochte es genauer nicht sagen. Die stritten sich oft und blieben doch auf dem Weg zum Strand wie am Wasser zusammen, als hielte sie noch etwas anderes zusammen denn die Unterkunft bei Ille. Die Künstler wehrten sich gegen etwas, was sie Produzieren nannten. Das verlangte der Funktionär von ihnen. – Nu laßt uns doch all das Leid erst mal verarbeiten! stöhnte der Maler, – Ihr werdet dann schon sehen: kündigte sein Kollege in den Musen an, unbestimmt düster, aber um redliche Miene bemüht. Gesine sah sich die Herrschaften noch einmal an daraufhin. Gewiß, sie waren nicht eben gemästet am Leib. Aber ihre Anzüge, mochten sie um geringere Masse schlottern, sie waren doch aus begehrenswerten, geschonten Stoffen. Die Gesichter waren glatt, aufmerksam, beweglich. Denen nahm sie Verhärmtheit nicht ab. Sie sah, wie entschlossen die einhieben in Illes Räucherbraten, wie verschwenderisch sie einen Hühnerschenkel angingen mit einem einzigen, umfassenden Biß. Von trauernden Leuten wußte sie eine andere Art des Essens. Wenn die Herren hier in Luft und Sonne und Stille etwas verarbeiten wollten, warum brachten sie ihre Ehefrauen zum Streiten mit und lebten jeden Abend in drangvoller Enge zwischen den dichtgestellten Betten? (Ihren Kindern gönnte Gesine die Ferien, so erwachsen kam sie sich vor; mit denen des Schweriners sprach sie nicht mehr, seit die sie hatten anstellen wollen, ihnen die Betten zu richten.) Nein, da war sie lieber ungerecht. Wenn die sich kümmern wollten

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