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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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um ein Leid, es würde wohl das anderer Leute sein.
    Die Gäste hatten gleich verstanden, bis wohin sie erwünscht waren, und hielten sich fern vom Garten, vom Stall, von der Küche, wo immer gearbeitet wurde. In ihre Kammern gesperrt, hörten sie nichts von dem Gespräch, das an vielen Abenden die Einheimischen unter sich führten. Ja, Ille bekam Besuch wie in Paepckes Zeiten, ob sie nun mit einer Kelle Wasser den Sand aus dem Mund spülen wollten oder ernsthaft sich hinsetzen zu etwas, das mochte nun nach Belieben ein Schnacken werden oder ein Klönen oder am Ende doch eine Geschichte. Nur daß nur wenige Männer dabei waren, und so manche von den Frauen nahm das weiße Kopftuch nicht ab. Niemals wurde Gesine begrüßt als die Cousine von Alexandra Paepcke; allmählich begriff sie, daß sie hier durch ihren Vater bekannt war und erinnert wurde. Gleichwohl kam es nicht vor, daß sie nach Cresspahl gefragt wurde. Besprochen wurde, was anlag; so lernte Gesine das Fischland kennen als eins, in dem ging es nicht zu wie im übrigen Mecklenburg. Wie in Illes Haus lebten in fast allen Häusern Sommergäste, die ihre Arbeit im Kopf vorbereiteten. Hier hatte der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands mehr zu sagen, als sein Platz in den mecklenburgischen Wahlen sollte vermuten lassen. Hier hatte die Regierung der sowjetischen Zone eine Spielwiese hergerichtet für die Intellektuellen, die sie für artig ansah, oder benutzbar. Im Hotel Bogeslav ging es zu wie in den alten Zeiten; nur daß Leute wie Bankier Siepmüller dort nicht mehr vorkamen. Ach doch, wenn sie aus dem englischen Sektor waren, oder noch besser aus England. – Engländer? fragte Gesine versehentlich. Die Rüge für vorlautes Betragen blieb aus, warum das nun wieder. Ja, Engländer. Bogeslav hieß Kurhaus jetzt. Die bekamen Sonderzuteilung »aus der Reserve«, was immer, wessen immer die war. Den Intellektuellen der Zone wurde das Fischland zugeteilt wie eine Medizin; nach vierzehn Tagen mußten sie Platz machen. Welche gab es, die badeten schon seit Juni hier. Einer hatte Baugenehmigung bekommen, gottlob in Ahrenshoop. Wenn die bloß nicht in Althagen anfingen mit ihren ausgedachten Häusern. Die wurden mit Pferdewagen durch den Darß gefahren. Ja, Gesine, in der Ernte. Wir kriegen das Unsere auch so vom Acker. Ja, was mit dem Jagdhaus des Reichsjägermeisters Hermann Göring war, Keiner weiß das, an die Stelle im Darß kam man nicht heran. Sonst kaum ein böses Wort über die Rote Armee. Offenbar hatte sie es mit diesem Landstrich anders angefangen. Doch, die waren bewaffnet auf Suche gezogen im Kleinen Darß, als Alfred Partikel verschütt gegangen war. Im Ernst, ihn retten wollten sie. Weißt, Gesine, der Maler. Ein Ahrenshooper zwar, wenigstens nicht Kulturbund. Was Gesine vom wirtschaftlichen Treiben der Einheimischen mitbekam, es klang nicht weniger exterritorial. Als gäbe es hier kein Finanzamt, als sähe die Wirtschaftskommission hier nicht her, als bekäme die Polizei keinen Zutritt. Auf dem Fischland schien die Kategorie »Selbstversorger« ziemlich genau das selbe zu bedeuten was das Wort meinte. Ach was, Lebensmittelkarten! Gelegentlich war die Rede von dem Haus mit der Sonnenuhr, so dicht am Hohen Ufer. Wann das wohl runterfallen werde. Mit türhohen Fenstern in Richtung Westen. Die mochten sie winters abdecken mit Holzplatten, da stand der Wind in der Stube und tanzte mit dem Sand. Des öfteren wurde gesagt: Nu tu das doch, Ille. Es sei nicht gefährlich. Tu das endlich, Ille.
    Wenn Gesine Milch geholt hatte, war sie frei zu gehen, wohin sie wollte. Die Erinnerung blieb weg, es kam bloß der Anstoß an eine Minute Vergangenheit, der so sich nennt. Was aber sie meinte, war der Eintritt in die ganze Zeit der Vergangenheit, der Weg durch das stockende Herz in das Licht der Sonne von damals. Einmal hatten sie auf dem Hohen Ufer nebeneinander gestanden und unzweifelhaft die Umrisse von Falster und Möen gesehen; Alexandras Oberarm war mit einer leichten Körperdrehung an Gesines Schulter gerückt, ohne sie zu berühren; das Gefühl der Annäherung lag verkapselt im Gedächtnis, begraben gleichsam, wurde nicht lebendig. Einmal ging sie durch die Boddenwiesen, bis zum Knöchel im quatschenden Wasser, wollte Paepckes Katen heimlich von hinten ansehen, hoffte gar nicht mehr als auf den Anstoß. Sie sah die verwilderte Hecke, den Rundlauf, ein Stück Fenster vom Boddenzimmer. Die Stahltür mit dem Maschendraht war mit Kette und

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