Jahrmarkt der Eitelkeit
behandeln, der man vierzig Pfund schuldet und die beständig auf das Geld anspielt? Das irische Dienstmädchen hat ihr freundliches, achtungsvolles Benehmen nicht im geringsten geändert, aber Mrs. Sedley bildet sich ein, sie sei unverschämt und undankbar geworden, und wie der schuldbewußte Dieb hinter jedem Gebüsch einen Schutzmann argwöhnt, so sieht sie in allen Reden und Antworten des jungen Mädchens drohende Andeutungen. Miss Clapp, die nun bereits eine junge Dame geworden ist, erklärt die versauerte alte Dame für eine unerträgliche, unverschämte kleine Dirne. Mrs. Sedley kann nicht begreifen, wieso Amelia sie gern hat, sie oft auf ihr Zimmer kommen läßt und häufig mit ihr ausgeht. Die bittere Armut hat das Leben der einst so fröhlichen, gütigen Frau vergiftet. Sie ist undankbar gegen Amelias stets gleichbleibende Güte ihr gegenüber, sie bemängelt ihre Bemühungen, freundlich und dienstbar zu sein, verhöhnt sie wegen ihres einfältigen Stolzes auf ihr Kind und jammert darüber, wie sie die Eltern vernachlässigt. In Georgys Heim geht es nicht sehr lebhaft zu, seit Onkel Joseph die Jahresrente zurückgezogen hat, und die kleine Familie lebt fast von Hungerrationen.
Amelia denkt und denkt und zerbricht sich den Kopf, um einen Weg zu finden, wie sie die geringen Mittel, bei der die Familie langsam verhungert, aufbessern kann. Soll sie irgend etwas unterrichten, Briefständer bemalen, feine Handarbeiten machen? Sie merkt, daß Frauen schwer und besser als sie für zwei Pence pro Tag arbeiten müssen. Sie kauft zwei vergoldete Pappen beim Schreibwarenhändler und bemalt sie, so gut sie kann. Auf der einen entsteht inmitten einer Bleistiftlandschaft ein lächelnder Schäfer mit roter Weste und rosa Gesicht, auf der anderen eine Schäferin, die mit einem Hündchen neben sich eine kleine Brücke überschreitet. Der Mann vom Schreibwarenladen und Bromptoner Magazin der schönen Künste, von dem sie die Pappen gekauft hat, in der eitlen Hoffnung, er würde sie zurückkaufen, wenn sie von ihrer Hand verziert worden wären, kann kaum ein Hohnlächeln verbergen, als er diese schwachen Kunstwerke besichtigt. Er blickt die Dame, die im Laden wartet, von der Seite an, packt die Bilder wieder in den braunweißen Papierumschlag und gibt sie der armen Witwe und Miss Clapp zurück. Diese junge Dame hat in ihrem ganzen Leben noch nichts so Schönes gesehen und hatte gehofft, daß der Mann mindestens zwei Guineen dafür zahlen würde. Sie versuchten ihr Heil in anderen Läden in der Stadt, aber ihre Hoffnungen sanken immer mehr.
»Ich brauche sie nicht«, sagt einer. »Hinaus!« sagt ein anderer böse. Drei Shilling und sechs Pence sind umsonst ausgegeben. Die Bilder kommen in Miss Clapps Schlafzimmer, und sie findet sie immer noch sehr schön.
Amelia schreibt in ihrer schönsten Handschrift nach langem Nachdenken und vielen stilistischen Bemühungen eine kleine Karte, auf der dem Publikum kundgetan wird, daß »eine Dame, die über einige Freizeit verfügt, die Erziehung kleiner Mädchen zu übernehmen wünscht, wobei sie in der englischen und französischen Sprache, in Geographie, Geschichte und Musik unterrichten könnte. Zuschriften unter A.O. an Mr. Brown«. Die Karte vertraut sie dem Herrn in dem Magazin der schönen Künste an, der sich bereit erklärt, sie auf den Ladentisch zu legen. Dort vergilbt sie, und Fliegen beschmutzen sie. Amelia geht oft sehnsüchtig an der Tür vorüber, in der Hoffnung, daß Mr. Brown Nachrichten für sie hat, aber er winkt sie nie herein. Wenn sie hingeht, um kleine Einkäufe zu machen, so ist niemals eine Nachricht für sie da. Arme, einfache, kleine Frau – wie kannst du, so zart und schwach du bist, den Kampf mit der kämpfenden rohen Welt wagen?
Sie wird täglich zermürbter und trauriger und richtet ängstliche Blicke auf ihr Kind, deren Bedeutung der kleine Knabe nicht zu enträtseln vermag. Nachts schreckt sie auf und blickt heimlich in sein Zimmer, um zu sehen, ob er schläft und nicht etwa geraubt ist. Sie schläft jetzt nur wenig. Ein schrecklicher Gedanke verfolgt sie ununterbrochen. Wie sie in den langen stillen Nächten weint und betet! Wie sie den ständig wiederkehrenden Gedanken vor sich selbst zu verbergen sucht, den Gedanken, daß es besser wäre, sich von dem Knaben zu trennen, da sie die einzige Schranke zwischen ihm und dem Glück ist! Sie kann nicht, wenigstens nicht jetzt. Ein anderes Mal. Oh, es ist zu schwer, diesen Gedanken zu ertragen.
Eine Idee
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