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Jahrmarkt der Eitelkeit

Jahrmarkt der Eitelkeit

Titel: Jahrmarkt der Eitelkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Makepeace Thackeray
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entfalteten ihre Blätter, das Wetter war herrlich. Rotbäckig und gesund, lief ihr der Knabe singend, das Bücherbündel an einem Riemen über dem Rücken, entgegen. Da war er. Mit beiden Armen umschlang sie ihn. Nein, es war unmöglich. Sie konnte sich nicht von ihm trennen.
    »Was ist los, Mutter?« fragte er. »Du siehst so blaß aus.«
    »Nichts, mein Kind«, entgegnete sie. Sie beugte sich herab und küßte ihn.
    An diesem Abend ließ sich Amelia von dem Knaben die Geschichte Samuels 1 vorlesen, wie ihn seine Mutter Hanna, nachdem sie ihn entwöhnt hatte, zu dem Hohepriester Eli brachte, damit er dort dem Herrn diene. Und er las Hannas Lobgesang, worin es heißt: »Der Herr machet arm und machet reich; er erniedriget und erhöhet; er hebet auf den Dürftigen aus dem Staube«. Dann las er, wie Samuels Mutter ihm einen kleinen Rock machte und »ihn ihm hinaufbrachte, zu seiner Zeit, wenn sie hinaufging zu opfern die Opfer seiner Zeit«. Und dann erklärte Georges Mutter in ihrer lieblichen, einfachen Art dem Knaben diese rührende Geschichte. Wie Hanna, obgleich sie ihren Sohn sehr liebte, sich wegen ihres Gelübdes doch von ihm getrennt habe und wie sie stets an ihn gedacht haben müsse, wenn sie weit von ihm entfernt zu Hause saß und an dem kleinen Rock nähte, und wie Samuel seine Mutter sicherlich nie vergessen habe, und wie glücklich sie gewesen sein müsse, als die Zeit herankam (und die Jahre vergehen sehr geschwind), da sie ihn wiedergesehen habe und feststellen konnte, wie gut und weise er geworden war. Diese kleine Predigt hielt sie mit sanfter, feierlicher Stimme und trockenen Augen, bis sie zu der Stelle der Wiederbegegnung kam. Da brach sie plötzlich ab, ihr zärtliches Herz strömte über, sie drückte den Knaben an sich, wiegte ihn hin und her und weinte schweigend ihren heiligen Schmerz über ihm aus.

    Sobald die Witwe ihren Beschluß gefaßt hatte, begann sie Maßnahmen zu ergreifen, die ihr für den beabsichtigten Zweck am erfolgversprechendsten schienen.
    Eines Tages erhielt Miss Osborne am Russell Square (Amelia hatte zehn Jahre lang weder den Namen noch die Nummer des Hauses niedergeschrieben, und als sie jetzt die Adresse malte, stieg ihre Jugend, ihre eigene Geschichte wieder in ihr auf) – eines Tages also erhielt Miss Osborne einen Brief von Amelia, der sie heftig erröten ließ. Sie blickte ihren Vater an, der düster auf seinem Platz am anderen Ende des Tisches saß.
    Amelia schilderte in einfachen Worten die Gründe, die sie bewogen hatten, bezüglich ihres Sohnes ihren Sinn zu ändern. Ihr Vater habe erneut Unglück gehabt und sei nun völlig ruiniert. Ihr eigenes kleines Einkommen sei so gering, daß es ihr kaum ermögliche, ihre Eltern zu unterhalten, und es würde nicht ausreichen, George die Vorteile zu bieten, die ihm gebührten. So groß auch ihr Schmerz bei der Trennung sein würde, so wolle sie ihn doch mit Gottes Hilfe um des Knaben willen ertragen. Sie wüßte, daß die, zu denen er ging, alles in ihren Kräften Stehende tun würden, um ihn glücklich zu machen. Sie beschrieb seinen Charakter, wie sie ihn sah: ungeduldig und ungehorsam gegen Zwang und Härte, aber leicht zu lenken mit Liebe und Freundlichkeit. In einer Nachschrift erbat sie sich eine schriftliche Zusage, das Kind, sooft sie es wünsche, sehen zu dürfen – sie könne sich unter keiner anderen Bedingung von ihm trennen.
    »Wie? Ist Mrs. Hochnäsig endlich zur Vernunft gekommen?« meinte der alte Osborne, als ihm seine Tochter mit zitternder Stimme hastig den Brief vorlas. – – »Regelrecht ausgehungert, haha! Ich wußte, daß sie es tun würde.« Er versuchte, Haltung zu bewahren und seine Zeitungen wie gewöhnlich zu lesen, aber er war nicht bei der Sache. Hinter dem Blatt lachte und fluchte er in sich hinein.
    Endlich warf er die Zeitung hin, blickte seine Tochter wie gewöhnlich finster an und ging in sein anstoßendes Studierzimmer. Bald kehrte er mit einem Schlüssel zurück und warf ihn Miss Osborne zu.
    »Richte das Zimmer über meinem – sein ehemaliges – her«, befahl er.
    »Ja«, erwiderte die Tochter zitternd. Es war Georges Zimmer. Seit mehr als zehn Jahren war es nicht geöffnet worden: Ein Teil seiner Kleider, Papiere, Taschentücher, Peitschen und Mützen, Angelruten und Sportgeräte befanden sich noch darin. Eine Armeeliste von 1814 mit seinem Namen auf dem Umschlag, ein kleines Wörterbuch, das er beim Schreiben benutzt hatte, und die Bibel, die ihm seine Mutter geschenkt hatte,

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