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Jahrmarkt der Eitelkeit

Jahrmarkt der Eitelkeit

Titel: Jahrmarkt der Eitelkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Makepeace Thackeray
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hat, das dich nach einer achttätigen Abwesenheit vergessen haben würde, wirft dich mehr nieder als der Verlust deines besten Freundes oder deines ältesten Sohnes – eines Erwachsenen wie du, mit eigenen Kindern. Wir können rauh und streng gegen Juda und Simeon 1 sein – unsere Liebe und unser Mitleid wird stets dem kleinen Benjamin 2 gelten. Und wenn du alt bist, wie mancher Leser es sein mag oder werden wird – alt und reich oder alt und arm –, so wirst du wohl eines Tages bei dir denken: Alle um mich her sind gute Menschen, sie werden sich aber nicht zu sehr grämen, wenn ich nicht mehr da bin. Ich bin sehr reich, und sie möchten mich gern beerben – oder sehr arm, und sie sind es müde, mich zu ernähren.
    Die Trauerzeit für Mrs. Sedley war kaum vorüber, und Joseph hatte kaum Gelegenheit gefunden, seine schwarze Kleidung abzulegen und in den glänzenden Westen zu erscheinen, die er so liebte, als es Mr. Sedleys Umgebung klar wurde, daß ein anderes Ereignis bevorstand und der alte Mann im Begriff stand, seine Frau in dem finsteren Land wohin sie vorausgegangen war, aufzusuchen.
    »Der Gesundheitszustand meines Vaters«, bemerkte Joseph Sedley feierlich im Klub, »hindert mich daran, in dieser Saison meine großen Gesellschaften zu geben; wenn Sie aber um halb sieben ganz still kommen wollen, Chutney, mein Junge, zu einem einfachen Mahl mit einigen von der alten Garde – so werde ich mich stets freuen, Sie zu begrüßen.«
    So aßen Joseph und seine Bekannten und tranken ihren Rotwein in aller Stille, während im oberen Stockwerk der Sand des Lebens im Stundenglas des alten Mannes verrann. Der Butler in Samtschuhen brachte ihnen leise den Wein, und sie setzten sich nach dem Essen zu einer Partie Whist nieder, an der auch Major Dobbin zuweilen teilnahm. Hin und wieder kam auch Mrs. Osborne herab, wenn ihr Patient für den Abend versorgt war und in den leichten, unruhigen Schlummer des Alters gesunken war.
    Der alte Mann klammerte sich während dieser Krankheit fest an seine Tochter. Aus keiner anderen Hand wollte er seine Brühe und Medizin nehmen. Seine Pflege war fast ihre einzige Beschäftigung; ihr Bett wurde dicht an die Tür zu seinem Zimmer gestellt, und das geringste Geräusch oder die leiseste Unruhe des launischen Kranken machten sie wach. Aber um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – oft lag er manche Stunde schweigend und bewegungslos da, um seine gütige, sorgsame Wärterin nicht aufzuwecken.

    Er liebte seine Tochter jetzt vielleicht zärtlicher als je seit ihrer Kindheit. Bei der Ausübung ihrer freundlichen Dienste und ihrer Kindespflichten strömte dieses einfache Geschöpf einen hellen Glanz aus. Sie kommt so geräuschlos ins Zimmer wie ein Sonnenstrahl, dachte Mr. Dobbin, wenn er sie ins Zimmer ihres Vaters hineingehen und wieder erscheinen sah. Eine heitere Freundlichkeit erhellte ihr Gesicht, wenn sie sanft und leise hin und her wandelte. Wer hat nicht schon diesen süßen engelhaften Ausdruck der Liebe und des Mitleids auf den Gesichtern von Frauen gesehen, die bei ihren Kindern wachen oder im Krankenzimmer zu tun haben?
    So wurde eine jahrelange, geheime Fehde stillschweigend beigelegt. In diesen letzten Stunden vergaß der alte Mann, gerührt von ihrer Liebe und Güte, all seinen Ärger gegen sie und all das Unrecht, das er manche lange Nacht hindurch mit seiner Frau besprochen hatte: daß sie alles für den Jungen geopfert habe, daß sie sich nicht um ihre alten unglücklichen Eltern kümmere und nur an das Kind denke. Wie albern und unvernünftig, ja eigentlich sündhaft sie sich benommen habe, als man ihr George weggenommen habe. Der alte Sedley vergaß diese Anschuldigungen, als er seine letzte Rechnung machte, und ließ der sanften, klaglosen kleinen Märtyrerin Gerechtigkeit widerfahren. Als sie sich eines Nachts in sein Zimmer stahl und ihn wach fand, legte der alte gebeugte Mann seine Beichte ab. »Ach, Emmy, ich habe eben daran gedacht, daß wir sehr böse und ungerecht gegen dich gewesen sind«, sagte er und hielt ihr seine kalte, kraftlose Hand hin. Sie kniete sich am Bett nieder und betete, und er betete ebenfalls, ohne ihre Hand loszulassen. Mögen wir, lieber Freund, auch solche Gesellschaft bei unseren Gebeten haben, wenn wir an der Reihe sind.
    Als er wach im Bett lag, zog wahrscheinlich sein früheres Leben an ihm vorüber – seine frühen, hoffnungsvollen Anstrengungen, seine Erfolge und sein Reichtum im Mannesalter, der spätere Niedergang und sein

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