Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jahrmarkt der Eitelkeit

Jahrmarkt der Eitelkeit

Titel: Jahrmarkt der Eitelkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Makepeace Thackeray
Vom Netzwerk:
und küßte ihn. Am Abend erzählte er die Geschichte seiner Mutter, die mit dem Jungen völlig einer Meinung war.
    »Das ist er wirklich«, sagte sie. »Dein lieber Vater hat es auch immer gesagt. Er ist ein sehr guter und rechtschaffener Mensch.« Dobbin kam zufälligerweise kurz nach diesem Gespräch herein, und das war wahrscheinlich der Grund, weshalb Amelia errötete, und der junge Taugenichts erhöhte ihre Verwirrung noch, indem er Dobbin den zweiten Teil der Geschichte erzählte.
    »Hör mal, Dobbin«, sagte er, »ich kenne ein ungewöhnlich nettes Mädchen, das dich gern heiraten möchte. Sie hat eine Unmenge Geld, trägt falsche Haare und schimpft von früh bis spät mit den Dienstboten herum.«
    »Wer ist es denn?« fragte Dobbin.
    »Tante Osborne«. entgegnete der Knabe, »der Großpapa hat es gesagt. Und stell dir mal vor, Dobbin, wie prima es wäre, wenn du mein Onkel würdest.« Die zitternde Stimme des alten Sedley im Nebenzimmer rief in diesem Augenblick nach Amelia, und das Lachen hörte auf.
    Daß sich die Einstellung des alten Osborne änderte, war deutlich zu merken. Er fragte George zuweilen nach seinem Onkel und lachte über den Knaben, wenn dieser nachahmte, wie Joseph »Gott behüte mich!« sagte und seine Suppe verschlang. Dann erklärte er: »Es ist respektlos, wenn ihr jungen Burschen eure Verwandten verspottet. Miss Osborne, wenn du heute ausfährst, so gib meine Karte bei Mr. Sedley ab, hörst du? Mit ihm habe ich ja keinen Streit.«
    Die Karte wurde erwidert, und Joseph und der Major wurden zum Diner geladen – wohl dem glänzendsten und langweiligsten, das Mr. Osborne je gegeben hatte. Jedes Stück des Familiensilbers wurde ausgestellt, und die beste Gesellschaft war geladen. Mr. Sedley führte Miss Osborne zu Tisch, und sie war sehr gnädig gegen ihn, während sie kaum ein Wort an den Major richtete, der furchtsam fern von ihr neben Mr. Osborne saß. Joseph sagte feierlich, es sei die beste klare Schildkrötensuppe, die er im Leben gegessen habe, und fragte Mr. Osborne, wo er seinen Madeira herhabe.
    »Er ist von Sedley«, flüsterte der Butler seinem Herrn zu.
    »Ich habe ihn schon lange und mußte eine Stange Geld dafür bezahlen«, sagte Mr. Osborne laut zu seinem Gast, und seinem Nachbar zur Rechten flüsterte er zu, er habe ihn »auf der Auktion des Alten« gekauft.
    Mehr als einmal fragte er den Major nach – nach Mrs. George Osborne – ein Thema, bei dem der Major sehr beredt sein konnte, wenn er wollte. Er erzählte dem alten Osborne, was sie alles erdulden mußte und von ihrer leidenschaftlichen Liebe zu ihrem Mann, dessen Andenken sie noch in Ehren halte, wie zärtlich und pflichtgetreu sie ihre Eltern unterstützt und wie sie ihren Knaben hingegeben habe, da sie dies für ihre Pflicht hielt. »Sie wissen nicht, was sie durchgemacht hat«, sagte der ehrliche Dobbin mit zitternder Stimme, »und ich hoffe und glaube, Sie werden sich mit ihr aussöhnen. Wenn sie Ihnen den Sohn genommen hat, so hat sie Ihnen dafür ihren eigenen gegeben. Wie sehr Sie auch Ihren George geliebt haben mögen, Sie können sich doch darauf verlassen, daß sie den ihrigen noch zehnmal mehr liebte.«
    »Bei Gott, Sie sind ein guter Bursche«, war alles, was Mr. Osborne sagte. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, daß der Witwe die Trennung von ihrem Sohn schmerzlich sein könnte oder daß es ihr Kummer bereiten könnte, zu sehen, wie er reich wurde. Man sprach schon von einer bevorstehenden und unvermeidlichen Versöhnung, und Amelias Herz begann bei dem Gedanken an die furchtbare Zusammenkunft mit Georges Vater bereits zu klopfen.
    Zu dieser Versöhnung sollte es jedoch nicht kommen. Die langwierige Krankheit und der Tod des alten Sedley kamen dazwischen, und danach war eine Zusammenkunft eine Zeitlang unmöglich. Jene Katastrophe und andere Ereignisse mögen ihre Spuren in Mr. Osborne zurückgelassen haben. Er war in der letzten Zeit sehr hinfällig, stark gealtert, und seine Gedanken beschäftigten sich mit vielem. Er ließ seine Rechtsanwälte kommen und änderte offensichtlich etwas an seinem Testament. Der behandelnde Arzt erklärte ihn für sehr schwach und erregt und sprach von einem kleinen Aderlaß und Seeluft; er benutzte aber keines dieser Heilmittel.
    Eines Tages vermißte ihn sein Diener beim Frühstück und ging in sein Ankleidezimmer hinauf. Dort fand er ihn, auf dem Boden vor seinem Toilettentisch, vom Schlag getroffen. Miss Osborne wurde benachrichtigt, die Ärzte geholt, Georgy

Weitere Kostenlose Bücher