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Jahrmarkt der Eitelkeit

Jahrmarkt der Eitelkeit

Titel: Jahrmarkt der Eitelkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Makepeace Thackeray
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blieb der Schule fern, die Aderlasser und Schröpfer kamen. Osborne gewann zeitweise das Bewußtsein zurück, konnte aber nicht mehr sprechen, obwohl er sich ein paarmal krampfhaft bemühte.
    Vier Tage später starb er. Die Ärzte gingen, die Leute des Leichenbestatters kamen; die Fensterläden zum Russell Square wurden geschlossen. Bullock erschien in rasender Eile aus der City. »Wieviel hat er dem Jungen hinterlassen? Doch sicherlich nicht die Hälfte? Sicherlich doch gleiche Teile für alle drei?« Es war ein aufregender Augenblick.
    Was war es, was der arme alte Mann ein paarmal vergeblich auszudrücken versucht hatte? Hoffentlich der Wunsch, Amelia zu sehen, um sich, ehe er die Welt verließ, mit der lieben, treuen Frau seines Sohnes zu versöhnen. Das wird es höchstwahrscheinlich gewesen sein, denn sein Testament bewies, daß der Haß, den er solange genährt, aus seinem Herzen verschwunden war.
    In der Tasche seines Schlafrockes fand man den Brief mit dem großen roten Siegel, den ihm George von Waterloo geschrieben hatte. Er hatte auch die anderen Papiere seines Sohnes durchgesehen, denn der Schlüssel zu dem Kasten, in dem er sie aufbewahrte, war ebenfalls in seiner Tasche, und die Siegel und Umschläge waren erbrochen. Das war höchstwahrscheinlich in der Nacht vor dem Schlaganfall geschehen; der Butler hatte ihm noch den Tee in sein Studierzimmer gebracht und ihn dabei vorgefunden, wie er in der großen roten Familienbibel las.
    Als das Testament geöffnet wurde, stellte es sich heraus, daß die eine Hälfte des Vermögens George und die andere Hälfte zu gleichen Teilen den beiden Schwestern vermacht war. Mr. Bullock sollte zum gemeinsamen Vorteil aller die Geschäfte des Handelshauses weiterhin leiten oder die Firma löschen, wie er es für richtig hielt. Eine Jahresrente von fünfhundert Pfund auf Kosten des Vermögens von George sollte seine Mutter bekommen, »die Witwe meines geliebten Sohnes George Osborne«, die die Vormundschaft über den Knaben wieder übernehmen sollte.
    »Major Dobbin, der Freund meines geliebten Sohnes«, war zum Testamentsvollstrecker ernannt, »und da er aus eigener Güte und Freigebigkeit aus seinem Privatvermögen meinen Enkel und die Witwe meines Sohnes unterhielt, als sie ohne andere Unterstützung waren« (fuhr der Testator fort), »danke ich ihm hiermit herzlich für seine Liebe und Achtung ihnen gegenüber und bitte ihn, eine Summe anzunehmen, die zum Kauf eines Oberstleutnantspatentes ausreichen wird, oder sie nach seinem Ermessen anders zu verwenden.«
    Als Amelia hörte, daß ihr Schwiegervater sich mit ihr ausgesöhnt hatte, schmolz ihr Herz, und sie war dankbar für das ihr hinterlassene Geld. Als sie aber vernahm, daß Georgy ihr wiedergegeben sei und wie und von wem und daß Williams Güte sie in ihrer Armut unterstützt habe und daß ihr der Mann und der Sohn von William gegeben worden sei – oh, da sank sie auf die Knie und flehte Segen auf das treue, gütige Herz herab. Sie beugte sich demütig nieder und küßte gleichsam die Füße dieser schönen, großmütigen Liebe.
    Dankbarkeit war alles, womit sie diese bewundernswürdige Hingabe und die Wohltaten lohnen konnte – nur Dankbarkeit! Wenn sie an eine andere Vergeltung dachte, so erhob sich das Bild Georges aus dem Grab und sagte: »Du bist mein, nur mein – jetzt und für immer.«
    William kannte ihre Gefühle, hatte er nicht sein ganzes Leben damit zugebracht, sie zu erraten?

    Als der Inhalt von Mr. Osbornes Testament der Welt bekannt wurde, war es sehr aufschlußreich, zu beobachten, wie Mrs. George Osborne in der Achtung ihres Bekanntenkreises stieg. Die Dienstboten in Josephs Haus, die ihre bescheidenen Aufträge in Frage stellten und meinten, sie wollten »den Herrn fragen«, ob sie gehorchen sollten oder nicht, dachten jetzt nicht mehr daran. Die Köchin vergaß, über die schäbigen alten Kleider zu lächeln (die durch den Putz der Küchendame am Sonntagabend zum Kirchgang wirklich in den Schatten gestellt wurden). Die anderen brummten nicht mehr, wenn ihre Klingel ertönte, oder vergaßen gar eine Zeitlang, dem Ruf zu folgen. Der Kutscher, der sonst knurrte, daß seine Pferde schon wieder heraus müßten und sein Wagen in ein Krankenhaus für den alten Kerl und Mrs. Osborne verwandelt würde, fuhr sie jetzt mit größter Bereitwilligkeit und zitterte, daß er durch Osbornes Kutscher ersetzt werden könnte. Er fragte, was diese Kutscher da vom Russell Square denn schon von der Stadt

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