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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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da sie sprechen mußten.
    Nun, da dieser Augenblick da war, zögerte Clary nicht. «Ja, ich komme, Joe. Hannah wird mich nicht brauchen; sie schläft.»
    Schweigend wanderten sie am Nordufer des Sees entlang. Es war völlig windstill, und die Hitze hatte sich wie eine feuchte Decke über das Tal gelegt. Clary trug ein ärmelloses weißes Leinenkleid, das die gesunde Bräune und die festen Muskeln ihrer Arme und Schultern zeigte. Um es kühler zu haben, hatte sie das braune Haar nach griechischer Art aufgesteckt, doch die weit auseinanderstehenden Augen, ihre Farbe und das vollendete Oval ihres Gesichts verliehen ihr eher etwas Ägyptisches. Die perverse Anziehung, die Sears in den Tagen in San Francisco so schockiert und gereizt hatte, war vergangen; das krankhafte Treibhaus-Aussehen war durch Gesundheit ersetzt worden, wie sie aus dem Sonnenschein, dem Leben im Freien und aus einem Geist kommt, der viel von seinen Ängsten verloren hat.
    Ein Weg von zehn Minuten brachte sie zu einem Schilfdickicht, in dem ein flachbodiger Kahn mit einem Paar Ruder lag.
    Clary fragte: «Wem gehört er?»
    Sears erwiderte leichthin: «Wahrscheinlich entweder Petrus oder Johannes, vielleicht auch Jakobus, dem Sohn des Zebedäus.»
    Er half ihr beim Einsteigen und bemerkte die Festigkeit und Wärme der Hand, die sie ihm reichte, und auch, daß sie, als sie sich auf die hintere Bank setzte, nicht das übliche Theater begann, auffällig den Rock über die braunen Knie herunterzuziehen. Sie war unbefangen wie eine Katze.
    Sears schob das Boot ins Wasser hinaus, über die Millionen von winzigen, bunten galiläischen Muscheln, schwang sich hinein, hängte die Ruder in die Dollen und fing an, langsam und schweigend vom Ufer wegzurudern.
    Auf dem See war es weniger heiß, und als sie sich auf der weiten Fläche befanden, spürten sie einen leisen Wind, der vom Hermon herunter durch das Tal wehte und eine Erinnerung an die Kühle mitbrachte, die auf seinen Hängen lag. Das war ihnen sehr willkommen, denn die galiläische Senke war wie ein Hochofen, obwohl die Sonne bereits auf dem Hügelrand lag und gleich dahinter versinken mußte.
    Der westliche Himmel war rot glasiert, die letzten Strahlen ergossen sich über die Zacken und Scharten von Naphtali, und als sie nach der andern Seite blickten, war der weiße Mond bereits über dem Steilufer des Jordan aufgegangen und hing am perlfarbenen Himmel. Die Klippen am Jordan stiegen steil hinter Ein Gev in purpurnen, grauen und Terrakottatönen auf.
    Sie waren etwa eine halbe Stunde schweigend dahingefahren. Sears ließ das Boot langsam herumschwingen. Clary rief: «Wie schön! Welch unirdische Schönheit...»
    Sears warf einen Blick auf den Mond und sagte: «Ein bißchen abgedroschen, doch ganz effektvoll. Aber ich habe dich nicht hier herausgerudert, um über die Kulissen mit dir zu sprechen, Veilchenauge; ich wollte mit dir reden.»
    Clary erwiderte gelassen: «Deshalb bin ich mitgekommen, Joe.»
    Er nickte. «Da sind ein paar Dinge, die wir klären müssen. Zuerst möchte ich dir für das danken, was du dort in den Bergen getan hast.» Damit wies er mit dem Kopf zum Hermon hinüber. «Damals, als Sears ein wenig den Verstand verloren hatte.»
    Clary schien sprechen zu wollen, doch er hob die Hand und stützte dann die Ellbogen auf die Ruder. «Warte, bitte», sagte er, «laß mich das erst mal vom Herzen haben. Du bist ein gutes Mädchen; du hast mir beigestanden und mir geholfen, als ich ganz unten war. Warum, das weiß ich nicht. Wir waren dort oben alle verdreht, sentimental und halb verrückt. Aber was ich sagen wollte, ist dies: vielleicht bist du einfach so ein Mensch, und das Ganze hat nicht das geringste für dich bedeutet. Oder vielleicht hattest du auch gerade einen kleinen Krach mit dem Jungen gehabt — was weiß ich? Jedenfalls, wenn du noch Zuneigung zu dem Schießgewehrjungen verspürst, will ich dir gewiß nicht im Wege stehen und dich vom Angelhaken lassen.»
    Clary überlegte, ehe sie antwortete, und dann fragte sie nur: «Und wenn ich gar nicht vom Angelhaken gelassen werden will?»
    Sears sagte: «Ich bin kein ordentlicher Bursche, Clary.»
    «Und ich kein ordentliches Mädchen, Joe.»
    Der Mann grinste plötzlich. «Wir sind ein paar erstklassige Ekel aus dem zwanzigsten Jahrhundert, stimmt’s?» Dann setzte er hinzu: «Schon gut, das war nur so hingesagt. Wem sollte ich etwas vormachen? Wir lieben uns, nicht wahr?»
    Clary stimmte zu: «Vermutlich.» Nun beobachtete sie ihn

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