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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Haar, blasses Prophetengesicht. Er trat in den Eingang des Zelts, um sich zu vergewissern, und mußte lächeln.
    Bei dem Sprecher auf dem Podium, umgeben von der üblichen Menge alter Frauen, schäbig aussehender, kinnloser Männer mit Hühnerhälsen und einer Auswahl von Tagedieben, die für einen Stuhl dankbar waren, handelte es sich um einen rundlichen, vergnügten Burschen im Doppelreiher, der wie ein Börsenmakler oder ein eifriges Mitglied einer Handelskammer aussah.
    Er hämmerte auf die vor ihm liegende Bibel wie ein Auktionator, der eben den Zuschlag erteilt, und sein Gesicht war ausdruckslos, während er die zahllosen «zeugte» herunterleierte: «Kenan war siebzig Jahre alt und zeugte Mahalaleel und lebte danach achthundertundvierzig Jahre und zeugte Söhne und Töchter; daß sein ganzes Alter ward neunhundertundzehn Jahre, und er starb.»
    Als Sears da im Eingang zum Zelt stand, empfand er plötzlich Dankbarkeit für diese Beschäftigung seines Geistes und hörte zu, wie der Prediger die Patriarchen aufzählte, die die Erde nach der Genesis bevölkert hatten:
    Insgesamt lebte Mahalaleel achthundertundfünfundneunzig Jahre... Insgesamt lebte Jared neunhundertundzweiundsechzig Jahre; dann starb er... Methusalah war hundertundsiebenundachtzig Jahre alt und zeugte Lamech und lebte danach siebenhuntertzweiundachtzig Jahre... daß sein ganzes Alter ward neunhundertundneunzig Jahre, und...»
    «He!» rief Joe Sears von dem Zelteingang, wo er stand, so daß die vor ihm Sitzenden die Köpfe drehten und ihn anstarrten; der Missionsprediger hielt jäh inne und blickte mit einer Art freundlicher Besorgtheit durch die randlose Brille, um festzustellen, was die Unterbrechung verhieß. «He! Wie haben die Kerle in jener Zeit es fertiggebracht, so lange zu leben?»
    Erleichtert blinzelten die Augen des Predigers. «Es steht in der Bibel, Bruder!» rief er und schlug dreimal mit der flachen Hand auf das Buch. «Es steht alles in der Bibel. Alles, was man überhaupt im Leben zu wissen braucht, darauf findet man die Antwort gleich hier in der Heiligen Schrift. Heilige dich, Bruder! Wende dich zur Bibel!»
    Joe Sears sagte: «Danke», und ging.
    Der Evangelist rief ihm nach: «Bleib da, Bruder! Komm herein und setz dich auf einen Stuhl! Höre, wie es den Herrn gereute, daß er den Menschen auf Erden gemacht hatte, und wie es ihn in seinem Herzen bekümmerte...»
    «Danke», wiederholte Joe, «ein andermal.»
    Er trat hinaus in die purpurne kalifornische Dämmerung. Während er in der Seitentasche die Zeitung zerdrückte, die von der geizigen alten Frau erzählte, reich wie Krösus hatte sie die ihr zugemessene Spanne von siebzig Jahren überschritten und war entschlossen, nicht zu sterben, ging ihm plötzlich ein Licht auf. Und es gab einmal eine Zeit, sagte dieser dicke Bibelklopfer, als die Söhne Adams acht-, neunhundert Jahre über die Erde wanderten, ehe sie in die Grube fuhren. Irgendwie mußte da irgendwo eine Verbindung sein. «Wende dich zur Bibel!» hatte der Mann gesagt. Warum eigentlich nicht? Dort hatten schon andere eine Antwort gefunden.
    Sears’ Mittel erlaubten ihm den Kauf einer Bibel nicht, und die Bibliotheken würden wohl geschlossen sein. Doch es gab auch andere Wege. Er ging zum Cahuenga-Boulevard hinüber und stieg in den Bus, der in die Stadtmitte von Los Angeles fuhr. Er war sehr erregt; er roch Geld.
    «Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.»
    Moses, Genesis! Die Erde ohne Form nahm Gestalt an. Die Dunkelheit machte dem Licht Platz. Aus Adam schuf Gott Eva; Kain erschlug Abel; die Patriarchen zeugten und lebten neunhundert Jahre; die Erde war mit Verderbtheit erfüllt, so daß es den Herrn gereute, den Menschen geschaffen zu haben, und er eine Flut schickte, um ihn zu vernichten.
    Noah baute die Arche und entrann; seine Söhne Sem, Ham und Japhet blieben am Leben, um die Welt neu zu bevölkern. Aus ihren Kindern entsprangen Abraham und Sara, entstand der Neue Bund mit dem Herrn; Sodom und Gomorra wurden zerstört; Isaak, Jakob, Esau und Josef kamen zur Welt. Namen und Gestalten tanzten vor den glitzernden Augen Joe Sears’: «Und Jakob lebte siebzehn Jahre in Ägyptenland, daß sein ganzes Alter ward hundertundsiebenundvierzig Jahre... Also starb Joseph, da er war hundertundzehn Jahre alt...»
    Joe Sears, der auf dem Rand seiner Pritsche im Missionshaus der Menschenbrüder saß, wo Bett, Seife und Handtuch fünfundzwanzig Cent kosteten, die Bibel jedoch umsonst war, fühlte sich der Erfüllung

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