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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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dem Gebäude, das, wie er wußte, für die Versammlungen der Ältesten benutzt wurde. Es klangen Stimmen heraus, doch Tür und Fenster waren mit dicken Vorhängen geschlossen.
    Sears ärgerte sich über seine Hilflosigkeit, denn er wußte nicht, was er tun sollte — rufen, hineingehen, die Schuhe ausziehen; er fürchtete, alles aufs Spiel zu setzen, wenn er irgendein örtliches Tabu verletzte und seine Gastgeber beleidigte. Als sie in dieses Dorf gekommen waren, hatte Dr. Levi zu ihm gesagt: «Was Sie auch tun, behandeln Sie die Leute freundlich. Es ist ein stolzes und würdevolles Volk. Treten Sie ihnen stets höflich gegenüber.» Aber er hatte Sears nicht gesagt, was sie als unhöflich betrachten würden.
    Doch sein Kommen war bemerkt worden, denn der Vorhang vor der Tür wurde zur Seite gezogen, und Barzillai erschien. Er war größer als Sears, und das lange Haar, aus dem feingeschnittenen Gesicht gestrichen und auf die Schultern fallend, machte ihn noch imposanter. Das Haar war dunkel, wenn auch schon mit Grau untermischt; über den leuchtenden Augen fanden sich Falten, doch Muskeln und Haut des schmalen, schönen Gesichts waren noch fest und voller Kraft. Sears schätzte ihn auf etwa sechzig Jahre, doch keinesfalls älter als fünfundsechzig.
    Der Amerikaner kam zu dem Schluß, daß gutes Benehmen überall geschätzt werde, hob die Hand zum Gruß und streckte sie dann aus. Barzillai schüttelte sie feierlich und mit freundlichem Gesicht. Ermutigt bat Sears durch Zeichen um die Erlaubnis einzutreten. Sofort neigte Barzillai das Haupt, zog den Vorhang zur Seite und winkte Sears, er möge eintreten; dann folgte er ihm über die Schwelle.
    Das Zimmer war mit Teppichen und gewebten Tüchern ausgehängt, hatte jedoch keine Möbel bis auf einen kleinen, niedrigen Tisch. Außer Amalkeh saßen fünf andere Männer mit gekreuzten Beinen auf der Erde oder hockten auf den Fersen. Einige von ihnen waren sehr alt, noch älter anscheinend als der Gerber. Doch bei allen fiel die ungewöhnliche Klarheit und Kraft in den dunklen Augen auf, als ob trotz des geschrumpften Fleisches und der abgezehrten Glieder, der eingesunkenen Wangen, des weißen Haares oder der Kahlheit — all der üblichen Beweise hohen Alters, nahe der Vergreisung — das innere Feuer unvermindert und mit jugendlicher Kraft brenne.
    Sie erhoben sich feierlich bei seinem Eintritt und verneigten sich. Sears erwiderte die Verbeugung und lächelte; er schüttelte allen die Hand. Darauf machten sie ihm verständlich, er solle sich setzen. Amalkeh klatschte in die Hände, und ein Junge erschien mit einem Tablett mit bitterem Kaffee, der in kleinen silberemaillierten Tassen von seltsamer Form und Zeichnung, mit einem Kreuz in der Mitte, serviert wurde. Sears hatte den Eindruck, die Tassen müßten aus der Zeit der Kreuzzüge stammen.
    Als der Kaffee herumgereicht worden war, setzten sich die Ältesten wieder hin und tranken ihn in einem freundlichen und leutseligen Schweigen, das Sears sehr angenehm fand. Es ließ ihm Zeit, seine Gedanken zu sammeln und sich sein Vorgehen zu überlegen — er hatte sich ein Mittel ausgedacht, die Sprachschranken zu überwinden und seine Wünsche diesen Männern mitzuteilen.
    Nun zog er eine Packung amerikanischer Zigaretten aus der Tasche und reichte sie herum. Jeder nahm eine, zündete sie an, hielt sie seltsam zwischen Daumen und Zeigefinger, rauchte jedoch mit sichtlichem Genuß. Sears kam zu dem Schluß, daß nun die Zeit gekommen sei, seinen Versuch zu machen.
    Er hatte Bleistift und Schreibblock mitgebracht. Diese Dinge zog er nun hervor, während ihm sieben Paar brennende, interessierte Augen bei tiefem Schweigen zusahen. Sears wußte nicht, ob sie in der Lage sein würden, Zahlen zu lesen. Es war ihm bekannt, daß das abendländische Zahlensystem von den Arabern stammte und auch von ihnen erdacht war, doch ob sie es verstehen würden, mußte er erst feststellen.
    Deshalb zeigte er auf sich selbst, schrieb die Zahl «36» auf den Block und reichte ihn Barzillai, der ihn Amalkeh zeigte. Sie nickten und lächelten.
    Danach zeigte er mit fragendem Ausdruck auf Barzillai und reichte ihm Block und Bleistift. Der große Eingeborene nahm beides, ohne zu zögern, entgegen und schrieb in leserlichen Ziffern die Zahl «239»; darauf gab er beides zurück.
    Zunächst verspürte Sears nur einen Schock der Enttäuschung. Sie hatten ihn ganz offensichtlich nicht verstanden, oder die Zahlen besaßen hier eine andere Bedeutung; denn die,

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