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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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zu haben glaubte, ins Gedächtnis zurückrief und kehrtmachte, um sich zu vergewissern.
    Der Gerber war so alt, daß man sein Alter nicht mehr zu schätzen vermochte, denn er war kahl und faltig, zusammengesunken und zahnlos, doch seine Augen blickten klar und lebhaft wie die eines Mannes in den besten Jahren.
    Wie überall im Osten war seine Werkstatt zur Straße hin offen, eigentlich nicht mehr als ein steinerner Schuppen, in dessen Mitte er hockte und die Innenfläche eines Ziegenfells abkratzte, um die noch daranhängenden Fleischreste zu entfernen. Wie alle im Dorf war er mit formlosen Hosen und einem wollenen Obergewand bekleidet, das über den Hüften von einem Gürtel gehalten wurde. Seine Arme und Beine wirkten abgezehrt, doch seine Bewegungen zeigten kein Nachlassen der Kraft. Er konnte neunzig sein, oder hundert oder noch älter.
    Was Joes Blick jedoch gefangen und ihn veranlaßt hatte, umzukehren, war das Werkzeug, das der Greis benutzte.
    Sears hockte sich neben ihn. Der Alte hielt in seiner Arbeit inne und betrachtete ihn mit lebhaften und jugendlichen Augen. Sears lächelte, zeigte auf das Gerät in der Hand des Gerbers und streckte die eigene Hand aus. In völligem Vertrauen und raschem Begreifen händigte der Gerber ihm das Werkzeug aus. Es war ein Schaber aus dunklem, poliertem Stein, und dort, wo sich der schneidende Rand befand, wirkte die Farbe gräulich.
    Sears fiel etwas ein, was Dr. Levi ihm während des Marsches zu diesem Dorf erzählt hatte. Er hatte gesagt: «Sie werden da etwas sehr Interessantes sehen — ein in moderner Zeit lebendes Volk, das Feuersteingeräte benutzt, wie sie sonst in prähistorischer Zeit verwendet wurden.»
    Sears griff in die Tasche, holte sein Messer heraus, öffnete die größere Klinge und zeigte sie dem Gerber. Der kleine Mann nickte und lächelte. Doch dann schüttelte er den Kopf in einer Art strahlender und überlegener Verneinung, nahm Sears das Messer aus der Hand und führte es nun über die Haut wie zuvor den Steinschaber. Er zeigte Sears das Ergebnis. Wo das Messer benutzt worden war, befand sich eine Anzahl winziger Schnitte in der dünnen Haut, kleine Öffnungen, die sich jedoch beim Trocknen erweitern würden. Dann gab er das Messer zurück und griff wieder zu dem Steingerät, das die Fläche sauber und unbeschädigt hinterließ. Einen Augenblick später nahm er die steinerne Ahle auf, bohrte ein schönes rundes Loch durch die Haut, zog einen Lederriemen hindurch, hängte die Haut auf und griff nach der nächsten.
    Sears fühlte sich seltsam erschüttert, als er sich erhob und eine Weile dastand und auf den Alten hinunterblickte, der auf den Fersen hockte und das Ziegenfell schabte. Sein Geist ging zurück zu der Gruppe, die er einmal im Anthropologischen Museum in Los Angeles gesehen hatte — der Höhlenmensch hockte auf den Fersen am Feuer in der Mündung der Höhle und schwang das steinerne Messer. Man brauchte dem Alten hier nur die Kleider abzunehmen, und bei Gott...
    Wie alt mochte er sein? Neunzig, hundert? Tausend? Zehntausend? Verrückt, irr, blöd — aber wie konnte man denn wissen, ob er einer jener Erwählten war, dem man die Frucht vom Baum des Lebens gegeben hatte, oder nicht? Sie offenbarten es niemals, wer diese Frucht erhielt.
    Er schüttelte sich, um die Klarheit des Geistes wiederzuerlangen. Der alte Bursche war vermutlich zwischen neunzig und hundert. In diesen Ländern, bei dem Klima waren Menschen, die über hundert Jahre alt wurden und bis zu ihrem Tode arbeiteten, nichts Ungewöhnliches. Ein Taschenmesser war also nicht zum Schaben geeignet. Ejn entsprechend geformter Stahlschaber wäre natürlich ebenso gut, nur den hatte er zufällig nicht bei sich.
    Doch während er zum Rathaus weiterging, das oben inmitten der andern Gebäude lag, wußte er, daß er sich selber das, was ihm da in den Kopf gekommen war, nicht hatte ausreden können.
    Diese Menschen waren vertraut mit den uralten Zeiten, die bis zur Morgendämmerung der Menschheit zurückreichten. Wenn sie immer noch Geräte aus jener Zeit benutzten und sie den modernen vorzogen, konnten dann nicht auch andere Dinge ebenfalls erhalten geblieben und ihnen bekannt sein? Zum Beispiel, was man tun mußte, um das Lebensalter ihrer ersten, im Bericht erwähnten Vorfahren zu erreichen, die aus Ur in Mesopotamien kamen und die Samenkörner des Lebensbaumes mitgebracht hatten?

    Sears erreichte die Dorfmitte, wo der Pfad sich erweiterte und fast wie eine Straße wirkte; er ging zu

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