Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles

Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles

Titel: Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Gast
Vom Netzwerk:
Weg führte durch blühende Raine an einem kleinen äußerst steinigen Weingarten entlang. Nachdem ich die Grenze zwischen Navarra und der kastilischen Provinz Rioja überschritten hatte, nahm ich extra meinen Reiseführer zur Hand, damit auch ich einen Carnes von der viel beschriebenen Señora namens Doña Felisa erhalte, einer alten Dame, die den Sinn ihres Lebensabends darin sieht, vorbeikommenden Pilgern einen Carnes in deren Pilgerpass mit der Frage nach deren Nationalität zu deren Registrierung zu geben. Die Begegnung mit Doña Felisa hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Nicht, dass ich enttäuscht gewesen wäre, es entsprach nur nicht meinen Vorstellungen.
    Als ich den Weg hinab ging, kamen mir zwei miteinander herumtollende Hunde kläffend entgegen. Zwei weitere stimmten lautstark ein. Linker Hand war ein provisorisches Schild mit irgendwelchen spanischen Hieroglyphen und kurz darauf rechts ein unauffällig kleiner Tisch mit den zum Ausstellen der Tagesstempel, den so genannten Carnes, notwendigen Utensilien. Hätte mich nicht eine jüngere Frau angesprochen, ich wäre auch hier achtlos vorbeigelaufen. Gewissheit erlangte ich erst mit meiner Frage: „¿Doña Felisa?“ und einem zustimmenden „Si!“ Unweit im Schatten eines kleinen, steinernen Gebäudes saß auf einer Bierzeltgarnitur eine weitere jüngere Dame im Gespräch mit einer ihr gegenüber sitzenden, in schwarz gekleideten, korpulenten alten Frau. Dies musste Doña Felisa sein, dachte ich mir. Aus ihren Augenwinkeln warf sie mir einen freudestrahlend funkelnden Blick zu. Obgleich ich mir vorgenommen hatte, ein Photo von dieser menschlichen Institution des Camino de Santiago zu schießen, begnügte ich mich mit dem Carnes. Das überraschend unerwartet Angetroffene aber auch meine verbliebene Skepsis ob der Identität der Person mit Doña Felisa hemmte spontan mein Vorhaben zu photographieren, so dass ich unverrichteter Dinge nach Logroño weiter zog und dort meine 21 km lange Tagestour beendete.
     

Sonntag, den 16.05.:
     
    Um nicht unnütz den anbrechenden Tag zu vergeuden und um möglichst dem Abgassmog des erwachenden Vorstadtmolochs zu entgehen, sah ich von einem sonntäglichen Kirchgang ab und marschierte am Pilgerbrunnen unweit der Pfarrkirche Santiago el Real, über deren Portal ein großes Standbild Jakobus in Gestalt eines Maurentöters angebracht ist, gen Westen. Meine zuvor gekauften Süßstückle nebst einem Schokotrunk verzehrte ich als Frühstück am Ufer des Stausees Pantano de la Grajera. Als ich den Dunst meiner glimmenden Zigarette einsog und in die morgendliche Frische ausblies, bemerkte eine vorbeiziehende Pilgerin leicht ironisch: „Haben wir nun mal wieder die Raucher vor uns?!“ „Nunmehr hinter Ihnen!“ merkte ich mit einem zart verständigen Lächeln hierzu an.
    Entgegen den kleinen navarresischen Weingärten führte der Camino nun durch große Weinfelder mit wenig Gefälle nach dem Ort Navarrete mit seiner Pfarrkirche La Asuncion (Maria Himmelfahrt). Nachdem ich mich zur Mittagszeit auf einem nett angelegten Brunnenplatz unterhalb der Kirche mit meinem zuvor angeknabberten Süßstückle und zuvor geschöpften Brunnenwasser gestärkt hatte, stieg ich zur Kirche zu deren Besichtigung hinauf. Ich platzte förmlich in eine zelebrierte Messe hinein. Der imposante, enorm hohe, barocke Hochaltar, dessen Vergoldungen durch das Scheinwerferlicht funkelten und glitzerten, verlieh der Eucharistiefeier eine Erhabenheit zwischen Himmel und Erde. Ein Gefühl der tiefen Zufriedenheit bemächtigte sich meiner. Wie bereits bei der letzt sonntäglichen Messe wurde auch dieses Mal im Gottesdienst ohne Gesangbücher und ohne instrumentale Begleitung gesungen. Nach dem kleinen Prospekt, der Vorderansicht der hiesigen Orgel zu urteilen, dürfte auf Kirchenmusik wohl auch niemals sonderlichen Wert gelegt worden sein und künftig auch nicht gelegt werden. Und dennoch verspürte ich das Begehren, die christliche Botschaft nicht nur den Menschen näher zu bringen sondern sie auch im Alltag zu verankern. Leben mit Christus und nicht nach Christus schien die Devise zu sein!
    Bereits dieser Gedankengang hatte mir erneut vor Augen geführt, dass ich ein außen stehender Beobachter und kein Teilhabender bin und möglicherweise auch nicht sein will. Dieses galt es zu ergründen.
    Nach vier großzügig eingeschenkten Gläschen Wein - über den Preis sprechen wir nicht - begab ich mich am Spätnachmittag in einem äußerst heiteren, beschwipsten

Weitere Kostenlose Bücher