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Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles

Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles

Titel: Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Gast
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Im Vertrauen darauf schloss ich mich dieser Schar an.
    Als ich die in Stein gehauenen, biblischen Geschichten und Metaphern auf den Kapitellen, den Portalen und Anderswo betrachtete, war meine Sichtweise eine ganz andere als seither. Erstmals versuchte ich deren biblische Aussagekraft neben der bildhauerischen Schönheit zu entschlüsseln. Wie selbstverständlich wurde mir wie auch anderen gruppenfremden Interessierten anstandslos die Mitbesichtigung auch der anderen Kirche St. Miguel gestattet. Die auf Spanisch gehaltene Führung endete ca. 18.30 Uhr. Sollte ich noch den ca. 9,5 km langen Weitermarsch zur nächstmöglichen Herberge wagen oder hier vor Ort Quartier beziehen. Nach meinem seither erfahrungsmäßigen Marschtempo konnte ich drei Kilometer die Stunde bewältigen, so dass ich voraussichtlich kurz vor Einlassende in der Pilgerherberge Villamayor de Monjardín eintreffen könnte beziehungsweise müsste.
    Beim Eruieren der mir bevorstehenden Wegstrecke an Hand meines Reiseführers musste ich feststellen, dass ich wegen des Zeitdrucks nicht nur auf einen Freitrunk der Weinkellerei „Bodegas Irache“, die diesen unkontrolliert an ihrem im Freien befindlichen Weinbrunnen jedermann gewährte, sondern auch auf eine Besichtigung eines der ältesten Klöster Navarras, des Klosters Irache, verzichten müsste. Als Schwabe stand nach dieser Information unumstößlich fest, dass ich in Estella für heute Nacht bleiben werde. Ich glaube, diesen heutigen Tagesstreckenrekord von drei Kilometern werde ich auch künftig nicht unterbieten können.
     

Freitag, den 14.05.:
     
    Punkt acht Uhr stand ich am „besagten Brünnele“ und ließ einige Schlückle - und zwar große - seines Leben spendenden Elixiers durch meine Kehle rinnen. Es war ein schmackhaft herber Vesperrotwein. Ein verstohlener Blick nach links und einer nach rechts und ruck, zuck war meine Halbliterwasserflasche für unterwegs mit diesem köstlichen Nass gefüllt. Welch eine Lebensfreude durch diese kleine Geste dieser Weinkellerei doch den Menschen geschenkt werden kann?!
    Da das gegenüberliegende Kloster erst sehr spät seine Pforten öffnete, gab ich meiner Ungeduld nach und wanderte bis zu einer Weggabelung, die beidseitig als Camino ausgewiesen war. Ein gleichfalls ratloser Pilgersmann fragte mich nach dem richtigen Weg. Auf meine Frage hin, welcher denn der Kürzere sei, deutete er auf den linken, worauf ich ihm mitteilte: „Dann nehm’ ich den Kürzeren! Man will ja in Compostela ankommen!“ Ein herzhaftes Auflachen und die Zustimmung eines Ja war seine Erwiderung.
    So wanderte ich bei einem kühlen, erfrischenden Wind und bei Sonnenschein durch die faszinierende Landschaft Navarras. Auf dem Höhenweg zeigte sich die ganze Schönheit dieses Landes: eine Weite, mit vielen Hügeln und Bergen, auf denen vereinzelt Burgen oder Dörfer stolz sich zeigten, in der Ferne jedoch durch das Gebirge begrenzt. Früh am Nachmittag erreichte ich die Ortschaft Los Arcos.
    Bei diesem herrlichen Wanderwetter sollte ich schon den Tag beschließen?! Schnell noch ein Baguette, eine Wurst und Käse gekauft, machte ich mich weiter auf nach Torres del Rio. Die Landschaft wurde in ihren Konturen weicher. Nunmehr waren es sanfte, gegeneinander stehende Hügel.
    An einem schönen Fleckchen Erde am Wegesrand ließ ich mich zum spartanischen Abendessen nieder. Wie bereits am Mittag genoss ich das anschließende Nickerchen im Grase. Auch der Rest meines Weinproviants war aufgebraucht. Die ein, zwei Schlückle Wein während meinen Zwischenrasten haben mir anscheinend Flügel verliehen. Gleich dem griechischen Götterboten Hermes lief ich wie ein Uhrwerk. Nach 30 km erreichte ich die Ortschaft Torres del Rio, in der ich die örtliche Pilgerherberge aufsuchte. Ich duftete zwischenzeitlich derart stark, dass sich in Feld, Wald und Flur manches Mal die würzige Frühlingsluft mit meinem Schweißgeruch anreicherte und mir selbst in die Nase stieg. Um für meine Mitmenschen nicht unerträglich zu werden, musste alles heute Getragene mit Ausnahme meiner Jeanshose gewaschen werden. Meine beiden gestern gewaschenen Unterwäschegarnituren nebst den beiden Sockenpärchen waren zwischenzeitlich trocken, so dass ich den heutigen Tag dennoch mit dem Gefühl der Frische und Sauberkeit beschließen konnte.
    Kurz vor dem schlafen Gehen musste ich austreten. Beim Öffnen der Toilettentüre hatte ich bereits ein unangenehmes Gefühl. Ein Stehklosett! Durch meinen Muskelkater und meine

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