Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles
vorzulesen. Da die beiden Franzosen weder Englisch noch Deutsch beherrschten, sah sich anscheinend der Herr aus Luxemburg ein wenig gehalten, dieses mir zu dolmetschen. Irgendwann zuvor hatte er mir einmal anvertraut, dass er das Wagnis des Jakobsweges trotz seinen Knieproblemen eingegangen war. Daher schien er auch nicht gewillt zu sein, wie seine beiden Weggefährten für die Dauer ihrer Rast seinen Rucksack abzunehmen. Nach dem Legendenvortrag zogen die drei Herren ihres Weges, während ich noch vor Ort eine geraume Zeit verweilte.
In Nájera empfing mich Storchgeklapper hoch oben auf dem Turm des Klosters Santa Maria la Real und an der Klosterpforte ein Schild: Montags geschlossen!
Wie erwartet traf ich in der Ortschaft Azofra, 17 km von Ventosa entfernt, am frühen Nachmittag ein. Da beide Pilgerherbergen bereits überfüllt waren und man uns Unterkunftssuchenden nicht vor die Türe setzen wollte, brachte man uns zu einem obligatorischen Preis von € 1,00 in einem alten, in Nachbarschaft zur Herberge leer stehenden Haus provisorisch unter. Den Raum, den ich mir zusammen mit zwei jungen Spaniern als Nachtlager aussuchte, musste wohl früher eine Bar oder der örtliche Tanzsaal gewesen sein, zumindest ließ eine geflieste Theke und die Größe des Raumes darauf schließen.
Nett fand ich, wie mir die Herbergsmutter klarzumachen versuchte, dass neben den Duschen auch die Toiletten in der Herberge, die hier in Spanien Albergue genannt werden, aufgesucht werden konnten. Hierbei ging sie mit einem Lachen leicht in die Hocke und führte eine Hand mit der Andeutung an ihren Popo, diesen abwischen zu wollen.
Kaum hatte ich meine Schlafstatt bezogen, erschien ein Herr mit der Herbergsmutter in dem von mir erwählten Schlafraum und inspizierte diesen. Wahrscheinlich dürfte es sich um den Alcalden, den örtlichen Bürgermeister, gehandelt haben, der das Gebäude auf dessen Verkehrssicherheit in Augenschein zu nehmen und es als vorübergehend noch zumutbar einzustufen schien.
Um mich nicht ausschließlich von Käse, Wurst und Brot ernähren zu müssen, gönnte ich mir heute zwei Dosen Muscheln, die in einer pikanten Marinade eingelegt waren. Hierzu gab’s noch eine Flasche unvergorenen Traubenmost aus der Region. Ich fügte mich der Tradition des Jakobsweges, der Bescheidenheit.
Die beiden Spanier hatten sich gleich wieder in das Dorf aufgemacht, so dass ich nun endlich Ruhe und Frieden in dieser, meiner kleinen Eremitage fand. Wie angenehm war es doch, in meiner kleinen Lektüre „Auf den Spuren des Jakobus, mein spiritueller Wegbegleiter“ zu schmökern. Durch die glaslosen Fenster und Balkontüren strich zart der Abendwind in den Raum. Fahles Abendlicht erhellte ihn. Unter dem azurblauen Himmel mit einigen weißen Schäfchenwolken am Firmament zogen Schwalben ihre Bahnen. Ihre piepsigen Rufe erfüllten den Raum. Gleich einem Stilllebengemälde wirkten die nach innen leicht geöffneten Fensterläden. Mein Zigarettenvorrat ging zur Neige. Zur Neubeschaffung war ich zu faul. Auch der Gedanke, im Bedarfsfalle keine mehr zu haben, konnte meine phlegmatische Gemütslage in keiner Weise beeinflussen.
Mit Kirchturmschlag neun begab ich mich hinüber zum Duschen und hernach in meinen Schlafsack, den ich auf einer alten, im Raum herumgelegenen Schaumstoffmatratze ausgebreitet hatte.
Dienstag, den 18.05.:
Durch den 6.00 Uhr Kirchturmglockenschlag geweckt räkelte ich mich eine Zeitlang in meinem Schlafsack und begab mich hinüber in die Albergue zur Morgentoilette. Hernach packte ich zusammen und ließ mich auf einem arm- und rückenlosen Bänkle in meiner Eremitage zum Frühstück nieder. Meine beiden Zimmergesellen hatten sich schon längst verabschiedet. Wie meistens auf meiner Reise bestand mein Frühstück aus einem halben Liter Fruchtsaft, Brot und Käse. Den Rest aus meinem Einliter Fruchtsaftpack hatte ich mir zusammen mit den Äpfeln und Orangen als Reiseproviant für heute aufgespart.
Gestärkt machte ich mich um ca. 7.45 Uhr nach der Ortschaft Santo Domingo de la Calzada auf. In der Kathedrale dieser Stadt galt mein erster Blick dem gotischen Hühnerkäfig, in dem turnusmäßig für einige Wochen ein weißer Hahn und eine weiße Henne zur Erinnerung an die Legende gehalten werden, wonach ein gebratenes „Göggele“ und ein „Brathenderl“ auf dem Teller des Stadtrichters wieder zum Leben erwachten, so dass die Unschuld eines zu Unrecht jedoch Dank des Heiligen Domingo am Leben erhaltenen
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