Jakobsweg im Smoking
übrigens. Aus Berlin.“
Er ist Mitte 20, arbeitete bei Apple, hatte dann keine Lust mehr, verkaufte sein Auto, packte den Rucksack und jetzt ist er hier. In einem Herbergszimmer mit Steffi, einem US-Amerikaner, der schon schläft, und mir.
„ Oder brauchst Du vielleicht ein Spanisch-Vokabelbuch?“, er wühlt sich durch seinen Gepäckberg.
Ich lehne dankend ab, leihe mir aber den Edding und beschrifte damit meine Trekkingstöcke.
„Oh! Das ist eine gute Idee“, findet Steffi.
Sie etwa 50, hat sich sehr gründlich vorbereitet und sogar mit Langzeit-EKG trainiert:
„Alles in Ordnung, sagt der Arzt.“
Steffi lacht.
„Die Schuhe soll man übrigens auch beschriften, hat mir jemand geraten…“
Wir beschriften unsere Schuhe.
Beim Abendessen erzählt eine Gruppe Belgier, mehrere Pilger seien diese Woche schon trotz aller Warnungen die gesperrte Route de Napoleon gegangen:
„Einige konnten per Hubschrauber gerettet werden, aber ein Pilger aus Brasilien ist ums Leben gekommen.“
Ich kann das alles nicht ganz glauben und wende mich nach den Essen an die Herbergsmutter:
„Das stimmt nicht, oder?“
„Doch, das stimmt leider“, bestätigt sie traurig, „die Leute hören nicht auf uns und verlaufen sich dann im Schnee und im Nebel. Es ist jedes Jahr das Gleiche…“
Deshalb hatte die Frau im Pilgerbüro uns also so ein dringlich tief in die Augen geschaut.
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch schlafe ich ein.
2. Pilgern
Vorfreudig und aufgeregt starten Steffi, Norman und ich nach einem kleinen Frühstück in Richtung Santiago…
Schnee und S chlamm
Auf der Brücke vor dem Jakobstor in St. Jean Pied de Port stellen wir uns fröhlich in einer Reihe auf und bitten eine fremde Pilgerin, ein Foto von uns zu machen.
„Ihr nervt mich!“, schimpft sie ohne Vorwarnung auf Englisch, „Wollt ihr das jetzt die nächsten 800 km so machen? Ständig Fotos?“
Wir lachen und lassen uns die Laune nicht verderben:
„Für uns ist das hier das Startfoto“, erklären wir.
Mürrisch greift die Krawallpilgerin nach meinem Smartphone und macht ein lieblos verwackeltes Foto.
„Und jetzt noch ein Bild mit meiner Kamera?“
Norman grinst herausfordernd.
„Und eins mit meiner !“, bittet Steffi.
Die Krawallpi lgerin schnaubt wütend und macht die gewünschten Bilder.
Während wir uns noch belustigt bedanken, stapft sie schon brodelnd davon…
Es ist kalt – etwas über null Grad. Kein Wind. Auf den Bergen liegt Schnee, Nebel hängt zwischen den Gipfeln und es sieht nach Regen aus. Steffi trägt ihren roten Regenponcho.
Bald schmiedet Norman – etwas außer Atem – erste Pläne, Gepäck nach Hause zu schicken.
In Venta halten wir am Brunnen und füllen zum ersten Mal unsere Flaschen nach. Ich ziehe Buff und Regenjacke wieder aus. Fleece und Windjacke sind warm genug.
Das Gehen mit den Trek kingstöcken ist für mich noch immer sehr ungewohnt. Ich weiß nicht genau, in welchem Rhythmus ich sie benutzen soll und die Schlaufen drücken unangenehm am Handgelenk. Mit Handschuhen geht es einigermaßen.
In Valcarlos erhalten wir in einer Bar den Zugangscode für die elektronisch gesicherte Herbergstür und suchen uns Betten aus. Die Albergue de Luzaide hat zwei mittelgroße Schlafsäle mit Hochbetten, Schließfächer, eine sehr geräumige Küche und man kann kostenlos waschen. Klasse.
Norman entdeckt zwei Blasen an seinen Füßen.
Wir duschen und kaufen gemeinsam ein.
In den Schaufenstern der Läden stehen seltsame Kombipakete: Dicke Bündel Zigarettenschachteln, an die je eine Flasche mit hochprozentigem Alkohol geklebt ist.
„Fumar mata – Rauchen tötet“, steht auf den Zigarettenschachteln. Ohne es zu bemerken, haben wir Frankreich verlassen. Hallo Spanien!
Steffi malt ein Aquarellbild der Kirche, während Norman und ich Spaghetti kochen. Wir haben Bärenhunger und verspeisen zu dritt rund 700 g Nudeln. Wow.
Bis zum Abend hat sich die Herberge gefüllt: Eine quir lige Gruppe Engländer, eine Australierin, ein Pilger aus Kanada und einige Deutsche.
Nachts schnarchen die Engländer so ohrenbetäubend im Chor, dass Norman in den Nachbarschlafsaal flüchtet, in dem noch Betten frei sind. Dort schnarcht niemand. Ein kleines Wunder.
Meine Ohrstöpsel sind goldwert! Ich bleibe im Schnarchsaal, schlafe seelenruhig bis zum nächsten Morgen…
N ach dem Frühstück versuche ich, Normans gigantischen Rucksack hochzuheben. Das Ungetüm ist ultraschwer. Gefühltes Gewicht : 25 kg. Mindestens.
D
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