Jakobsweg im Smoking
er Kanadier lacht herzlich und möchte lieber einmal meinen Rucksack hochheben:
„Ich habe Taschentücher, die schwerer sind!“
Unterwegs erzählt Steffi, dass sie nicht nur als Lehrerin für Russisch und Kunst gearbeitet habe, sondern auch als Wanderführerin. Das Wasser, das von den Bergen rinnt, sei in der Regel sauber und trinkbar, erklärt sie.
Ich fülle mein Flasche am Wegesrand. Schmeckt.
Allerdings habe ich nicht aufgepasst: Mein rechter Fuß ist nass. Oje, gefährliche, wahrscheinlich blasenverursachende Situation: Wandern mit nassem Fuß. Hoffentlich geht das gut. Das Wetter ist heute sonnig, warm und absolut windstill. Der Weg allerdings ist oft sehr schneeschlammig, rutschig und steil.
Gegen Mittag creme ich Gesicht und Hände mit Sonnenmilch ein und benutze das erste Mal den LSF 50 Lippenstift. Wir sind bald auf 1000 m Höhe. Der kahlgeschorene Kopf des Kanadiers und Normans Gesicht sehen bedenklich rot aus. Als ich Sonnencreme anbiete, winken jedoch alle fröhlich ab.
W ir erreichen das Rolandsdenkmal am höchsten Punkt des Ibañeta-Passes. Hier pfeift der Wind plötzlich, als hätte jemand das Gebläse in der Kältekammer auf Stufe 3 aktiviert. Gefühlte Temperatur: -1°. Wir packen uns warm ein und genießen stolz den fantastischen Ausblick.
Müde, aber sehr zufrieden erreichen wir das Kloster in Roncesvalles. Norman hat Sonnenbrand und eine neue Blase. Meinen Füßen geht es trotz Nässe gut und meine Gesichtsfarbe ist auch in Ordnung.
Kleine Überraschung: Unsere Schuhe müssen wir im Eingangsbereich des Klosters direkt in einem extra dafür vorgesehenen Schuhraum ins Regal stellen.
Wie gut, da ss ich Flip Flops dabei habe!
Der Kanadier , der kurz nach uns ankommt, hat einen leuchtend roten Kopf:
„Es pulsiert ein bisschen“, merkt er unverwüstlich hei ter an. Da er keine Wechselschuhe im Gepäck hat, muss er auf dem kalten Steinfußboden leider barfuß laufen:
„Das ist nun wirklich unpraktisch! Ich werde mir morgen irgendwo Sandalen kaufen.“
Die Schlafsäle des Klosters sind riesig, aber angenehm abgetrennt, so dass kleine Bereiche mit jeweils zwei Hochbetten entstehen.
In der Kapelle gibt es abends eine Messe, bei der wir den Pilgersegen erhalten. Der Priester verliest auch die heute im Kloster vertretenen Nationen:
„Australi en, Brasilien, Kanada, Deutschland, England, Frankreich, Japan, Portugal, Spanien, Südkorea…“
Mitten in der Nacht schaffe ich es mit schmerzenden Oberschenkeln kaum bis ins Bad.
Puh.
Wenn das so bleibt, pilgere ich morgen keinen Meter.
Danke, Hospitalieros!
In frühster Frühe weckt uns Gesang.
Gesang? Live? Wirklich?
Wirklich.
Die Hospitalieros – freiwillige Helfer, die sich um die Pilger kümmern – ziehen fröhlich singend und Gitarre spielend als kleine Weckprozession durch den Schlafsaal.
Hach.
Wie schön. Danke, Hospitalieros!
Draußen gießt es in Strömen.
Huch.
Pfui.
Alle motivierten Pilger verpacken sich wasserfest und stürzen sich in die Fluten. Die Südkoreaner sehen in ihrer bunten Regenkleidung aus wie lebendige Farbkleckse.
Alle nicht motivierten Pilger versammeln sich im Spei sesaal und trinken noch einen zweiten Morgenkaffee.
„Wir gehen erst, wenn die uns rausschmeißen, okay?“
Norman und Steffi sind einverstanden.
Es ist kurz vor acht.
Bis um acht Uhr müssen alle Pilger das Kloster verlassen haben:
„Es ist gleich acht Uhr“, ermahnt un s ein Hospitaliero mit freundlich ermunterndem Unterton.
Wir ziehen langsam unsere Schuhe an.
Um kurz nach acht verlassen wir kichernd das Kloster: Es hat tatsächlich genau passend aufgehört zu regnen.
Am Straßenrand liegt ein Schild, das Autofahrer bittet auf Pilger zu achten. Jemand hat es umgefahren.
Meine Oberschenkel schmerzen noch, doch nach einigen Kilometern verläuft sich das.
Bei Norman werden die Fußschmerzen hingegen im mer schlimmer. Wir pilgern weiter, lassen schließlich den Schnee hinter uns, kommen in das kleine Dorf Bizkarreta. Norman reicht es für heute. Er bleibt hier. Wir verabschieden uns herzlich:
„Buen Camino !“
Steffi und ich gehen weiter bis nach Zubiri. Der Weg ist streckenweise noch matschiger als am Vortag. Ich nehme die Asphaltkappen von den Trekkingstöcken und wir stochern uns durch die schlammige Landschaft. Gegen Ende der Etappe geht es sehr viel bergab. Ich spüre mein rechtes Knie, bin froh, dass ich zwei Stöcke habe.
In Zubiri kassiert eine mürrische Herbergsdame 8 Euro pro Person, stempelt unsere
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