James Bond 01 - Casino Royale (German Edition)
»Liebesgeflüster und Hassgeflüster« bekannt war, die Karte, die für Bond den beinahe sicheren Sieg verkörperte.
Der Croupier schob sie zu ihm herüber. Für Le Chiffre bedeutete sie nichts. Bond konnte eine Eins haben, sodass er nun zehn Punkte hätte, also null – Bacarra. Oder er konnte eine Zwei, Drei, Vier oder sogar Fünf haben. In diesem Fall wäre sein Maximalstand vier.
Eine Drei auf der Hand zu haben und eine Neun herauszugeben, war einer der Scheidepunkte des Spiels. Die Chancen zwischen ziehen und nicht ziehen lagen praktisch gleich. Bond ließ Le Chiffre in seinem eigenen Saft schmoren. Da seine Neun nur geschlagen werden konnte, wenn der Bankhalter eine Sechs zog, hätte er normalerweise seine Punktzahl offengelegt. Aber dies war kein Freundschaftsspiel.
Bonds Karten lagen vor ihm auf dem Tisch, die beiden unpersönlichen, blassrosa Rückseiten und die offene Herz Neun. Diese Neun konnte Le Chiffre entweder die Wahrheit erzählen oder viele Variationen von Lügen.
Das ganze Geheimnis lag auf der anderen Seite der zwei rosafarbenen Rücken, wo die beiden Damen den grünen Filz küssten.
Dem Bankhalter lief der Schweiß zu beiden Seiten seiner imposanten Nase herunter. Seine dicke Zunge kroch verschlagen heraus und leckte einen Tropfen aus dem Winkel der roten Wunde seines Munds. Er blickte auf Bonds Karten, dann auf seine eigenen, und wieder zurück auf Bonds.
Dann zuckte sein ganzer Körper, und er zog eine Karte für sich selbst aus dem Schlitten.
Er sah sie an. Alle am Tisch reckten ihre Hälse. Es war eine wunderbare Karte, eine Fünf.
»
Huit à la banque
«, sagte der Croupier.
Als Bond stumm sitzen blieb, ließ Le Chiffre plötzlich ein wölfisches Grinsen aufblitzen. Er musste gewonnen haben.
Der Croupier streckte seine Palette fast entschuldigend über den Tisch aus. In der Runde gab es niemanden, der daran zweifelte, dass Bond verloren hatte.
Der Holzspatel drehte die beiden verdeckten Karten um. Die zwei roten Damen lächelten durchtrieben.
»
Et le Neuf
.«
Die Menge schnappte hörbar nach Luft und brach dann in Gemurmel aus.
Bonds Blick war auf Le Chiffre geheftet. Der große Mann fiel in seinen Stuhl zurück, als ob man ihn körperlich geschlagen hätte. Sein Mund öffnete sich ein, zwei Mal, um zu protestieren, und seine Hand hob sich an seine Kehle. Seine Lippen waren ganz grau.
Während der riesige Stapel Jetons zu Bond hinübergeschoben wurde, griff der Bankhalter in eine Innentasche seines Jacketts und warf ein Bündel Geldscheine auf den Tisch.
Der Croupier zählte sie schnell durch.
»
Un banco de dix millions
«, verkündete er und packte den Gegenwert in zehn Jetons auf den Tisch, die je eine Million Franc wert waren.
Das ist das Ende, dachte Bond. Dieser Mann steht mit dem Rücken zur Wand. Dies ist sein letztes Kapital. Er steht nun dort, wo ich vor einer Stunde stand, und er macht die letzte verzweifelte Geste, zu der ich auch gegriffen habe. Doch wenn dieser Mann verliert, wird ihm niemand zu Hilfe eilen und kein Wunder ihn retten.
Bond lehnte sich zurück und zündete sich eine Zigarette an. Auf einem kleinen Tisch neben ihm waren eine halbe Flasche Clicquot und ein Glas aufgetaucht. Ohne zu fragen, wer der Wohltäter war, füllte Bond sich das Glas bis zum Rand und stürzte den Champagner in zwei großen Zügen hinunter.
Dann lehnte er sich zurück und legte die Arme vorwärts auf den Tisch, wie ein Kampfsportler, der am Anfang einer Runde Jiu-Jitsu nach einem Halt sucht.
Die Spieler zu seiner Linken blieben stumm.
»
Banco
«, sagte er direkt zu Le Chiffre.
Wieder wurden ihm die zwei Karten herübergeschoben, und dieses Mal beförderte der Croupier sie direkt zwischen seine ausgestreckten Arme.
Bond drehte seine rechte Hand ein, warf einen kurzen Blick auf die Karten und warf sie aufgedeckt in die Mitte des Tisches.
»
Le Neuf
«, sagte der Croupier.
Le Chiffre starrte auf seine beiden schwarzen Könige.
»
Et le baccarat
.« Der Croupier beugte sich über den Tisch zu dem großen Stapel Jetons vor.
Le Chiffre sah ihnen nach, während sie zwischen den vielen Millionen im Schatten von Bonds linkem Arm verschwanden. Dann stand er langsam auf und schob sich ohne ein weiteres Wort an den Spielern vorbei zum Ausgang der Messingabsperrung. Er öffnete die samtüberzogene Kette, und ließ sie fallen. Die Zuschauer bildeten eine Gasse für ihn. Sie sahen ihn neugierig und ein wenig ängstlich an, als ob er den Geruch des Todes an sich tragen würde.
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