James Bond 03 - Moonraker (German Edition)
Notizbuch, das Drax immer in seiner Gesäßtasche mit sich herumtrug. Sie wusste, dass es sich dabei um eine unveränderliche Routine handelte, und sie war es langsam leid, sich das Ganze durch ein unauffälliges Loch anzusehen, das sie in die dünne Wand zwischen den beiden Büros gebohrt hatte, damit sie Vallance einen wöchentlichen Bericht über Drax’ Besucher schicken konnte. Die Vorgehensweise war amateurhaft, aber effektiv, und so hatte sie nach und nach ein komplettes Bild der täglichen Routine zusammensetzen können, die sie mittlerweile so ärgerlich fand. Es ärgerte sie aus zwei Gründen. Zum einen bedeutete diese Routine, dass Drax ihren Berechnungen nicht traute, und zum anderen minimierte sie ihre Chance, eine wie gering auch immer geartete Rolle beim letztendlichen Start der Rakete zu spielen.
Es war nur natürlich, dass sie im Verlauf der Monate ebenso sehr in ihrer Tarnung aufging wie in ihrem eigentlichen Beruf. Für die Gründlichkeit ihrer Tarnung war es unerlässlich, dass ihre Persönlichkeit so gespalten wie möglich war. Und nun, während sie spionierte und beobachtete und für ihren Londoner Vorgesetzten in Drax’ Umgebung herumschnüffelte, war sie gleichzeitig leidenschaftlich mit dem Erfolg des Moonraker-Projekts beschäftigt und der Arbeit daran genauso ergeben wie jeder andere in der Anlage.
Der Rest ihrer Aufgaben als Drax’ Privatsekretärin war unerträglich langweilig. Jeden Tag gab es einen großen Stapel Post, die an Drax in London adressiert und vom Ministerium weitergeleitet worden war, und an diesem Morgen hatte sie das übliche Bündel aus etwa fünfzig Briefen auf ihrem Schreibtisch vorgefunden. Es würde sich wie immer um drei verschiedene Sorten von Briefen handeln: Bittschreiben, Briefe von Raketenfreaks und Geschäftsbriefe von Drax’ Börsenmakler und anderen Handelsvertretern. Für Letztere würde Drax ihr kurze Antworten diktieren, und der Rest ihres Tages würde aus Tippen und Abheften bestehen.
Daher war es nur natürlich, dass ihre einzige Aufgabe, die mit der Raketenoperation zusammenhing, einen wichtigen Teil in ihrer langweiligen Routine einnahm, und an diesem Morgen war sie beim erneuten Überprüfen ihres Flugplans mehr als je zuvor davon überzeugt, dass ihre Werte am Tag des Abschusses angenommen werden sollten. Und vielleicht würden sie das auch, hielt sie sich wie schon so oft vor Augen. Womöglich waren Drax’ und Walters tägliche Berechnungen, die in dem kleinen schwarzen Buch landeten, lediglich eine Überprüfung ihrer eigenen Werte. Drax hatte weder ihre Wetterpläne noch die von ihr berechneten Kreiseleinstellungen jemals angezweifelt. Und als sie ihn eines Tages ganz direkt gefragt hatte, ob ihre Werte korrekt seien, hatte er mit offensichtlicher Aufrichtigkeit erwidert: »Sie sind ausgezeichnet, meine Liebe. Äußerst wertvoll. Ohne sie käme ich nicht zurecht.«
Gala Brand kehrte in ihr eigenes Büro zurück und machte sich daran, die Briefe zu öffnen. Nur noch zwei weitere Flugpläne für Donnerstag und Freitag, und dann würde man endlich die Kreisel einstellen – entweder nach ihren oder nach den Werten in Drax’ Tasche – und den Schalter in der Abschussanlage umlegen.
Sie warf einen geistesabwesenden Blick auf ihre Fingernägel und streckte dann beide Arme vor sich aus. Wie oft war sie während ihrer Ausbildung an der Polizeischule schon mit dem Auftrag zu den anderen Schülern geschickt worden, nicht ohne ein Notizbuch, ein Schminktäschchen, einen Füllfederhalter oder gar eine Armbanduhr zurückzukommen? Wie oft war der Ausbilder während der Kurse zu ihr herumgewirbelt, hatte ihr Handgelenk gepackt und gesagt: »Also wirklich, Miss. Das genügt nicht. Das war so, als würde ein Elefant in der Jackentasche des Tierpflegers nach Zucker suchen. Versuchen Sie es noch mal.«
Gelassen bog sie ihre Finger durch, traf eine Entscheidung und wandte sich wieder dem Stapel aus Briefen zu.
Um kurz vor neun gingen die Alarmglocken los, und sie hörte, wie Drax in seinem Büro eintraf. Einen Augenblick später hörte sie, wie er die Doppeltüren öffnete und nach Walter rief. Dann folgte das übliche Gemurmel. Die genauen Worte gingen im leisen Surren der Ventilatoren unter.
Sie sortierte die Briefe in die drei Stapel und lehnte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch und dem Kinn in der linken Hand entspannt vor.
Commander Bond. James Bond. Eindeutig ein eingebildeter junger Mann, wie so viele beim Secret Service. Und warum war er
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