James Bond 03 - Moonraker (German Edition)
vielleicht vor ein paar Nächten aufs Dach geklettert war und draußen auf dem Meer gesehen hatte, was immer er gesehen haben mochte. Er hätte sicher sein Fernglas dabeigehabt und Bond, der sich daran erinnerte, wandte sich vom Fenster ab und nahm es in die Hand. Es war ein sehr schweres deutsches Modell, möglicherweise ein Beutestück aus dem Krieg, und die Gravur 7 x 50 verriet Bond, dass es sich um ein Nachtsichtfernglas handelte. Und dann musste der vorsichtige Tallon leise (aber nicht leise genug?) zum anderen Ende des Dachs geschlichen sein und sein Fernglas erneut erhoben haben, um die Entfernung zwischen dem Rand der Klippe und dem Objekt auf dem Meer sowie die zwischen dem Objekt und dem Feuerschiff abzuschätzen. Dann war er auf dem gleichen Weg zurückgekehrt und leise in sein Zimmer zurückgeschlichen.
Bond sah bildhaft vor sich, wie Tallon, vielleicht zum ersten Mal seit seiner Ankunft in diesem Haus, vorsichtig die Tür abschloss, zum Aktenschrank hinüberging, die Karte herausholte, auf die er bis zu diesem Zeitpunkt kaum einen flüchtigen Blick geworfen hatte, und darauf mit leichtem Druck die Linien seiner groben Peilung markierte. Vielleicht starrte er sie eine ganze Weile lang einfach nur an, bevor er das Fragezeichen hinzufügte.
Und was war dieses unbekannte Objekt gewesen? Es ließ sich unmöglich sagen. Ein Boot? Ein Licht? Ein Geräusch?
Was immer es war, Tallon hatte es nicht sehen sollen. Und jemand hatte ihn gehört. Jemand hatte vermutet, dass er es gesehen hatte, und gewartet, bis Tallon am nächsten Morgen sein Zimmer verließ. Dann war dieser Mann in dieses Zimmer geschlichen und hatte es durchsucht. Vermutlich hatte ihm die Karte nichts verraten, aber das Nachtsichtfernglas lag neben dem Fenster.
Das hatte ausgereicht. Und an diesem Abend war Tallon gestorben.
Bond riss sich zusammen. Er zog voreilige Schlüssen und legte sich den Fall anhand fadenscheinigster Beweise zurecht. Bartsch hatte Tallon getötet, und Bartsch war nicht der Mann, der das Geräusch gehört oder die Fingerabdrücke auf der Karte hinterlassen hatte. Und er war auch nicht der Mann, dessen Personalakte Bond in seinen Lederkoffer gepackt hatte.
Dieser Mann war der schmierige Handlanger Krebs gewesen, der Mann, dessen Nacken wie eine weiße Schnecke aussah. Die Fingerabdrücke auf der Karte waren seine. Bond hatte sie eine Viertelstunde lang mit den Abdrücken in Krebs’ Personalakte verglichen. Doch wer konnte schon sagen, ob Krebs ein Geräusch gehört oder etwas deswegen unternommen hatte, falls es so war? Nun, zum einen sah er wie ein geborener Schnüffler aus. Er hatte die Augen eines Diebs. Und seine Fingerabdrücke waren definitiv auf die Karte gelangt, nachdem Tallon sie betrachtet hatte, da sie sich an einigen Stellen über Tallons befanden.
Doch wie in aller Welt konnte Krebs in diese Sache verwickelt sein, wenn Drax ihn die ganze Zeit über im Auge behielt? Er war sein vertrauenswürdiger Assistent. Aber was war mit Cicero, dem scheinbar vertrauenswürdigen Kammerdiener des britischen Botschafters in Ankara während des Krieges gewesen? Die Hand in der Tasche der gestreiften Hose, die über der Stuhllehne hing. Die Schlüssel des Botschafters. Der Tresor. Die Geheimnisse. Diese Sache hier sah ganz ähnlich aus.
Bond erschauderte. Ihm wurde plötzlich klar, dass er eine ganze Weile lang vor dem offenen Fenster gestanden hatte und dass es Zeit zum Schlafengehen war.
Bevor er ins Bett ging, nahm er sein Schulterholster vom Stuhl, wo er es neben seine Kleidung gehängt hatte, zog die Beretta mit der abmontierten Griffabdeckung heraus und schob sie unter sein Kissen. Als Verteidigung gegen wen? Bond wusste es nicht, aber seine Intuition sagte ihm, dass definitiv Gefahr lauerte. Ihr Geruch war unverkennbar, obwohl sie immer noch ungenau war und lediglich am Rand seines Unterbewusstseins lungerte. Tatsächlich wusste er, dass seine Gefühle auf einer Anzahl winziger Fragezeichen beruhten, die im Verlauf der vergangenen vierundzwanzig Stunden aufgetaucht waren – das Rätsel um Drax, Bartschs »Heil Hitler«, die bizarren Schnurrbärte, die fünfzig wertvollen Deutschen, die Karte, das Nachtsichtfernglas, Krebs.
Als Erstes musste er seine Verdächtigungen an Vallance weiterleiten. Dann musste er herausfinden, was Krebs im Schilde führte. Dann musste er sich um die Verteidigung des Moonrakers kümmern – zum Beispiel an der dem Meer zugewandten Seite. Und dann musste er sich mit dieser Brand treffen
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