James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition)
eigene Dummheit – blinde, tödliche Dummheit. Und auch tödlich für Tatjana. Verdammt! Er hätte dieser Katastrophe die ganze Zeit ausweichen können. Es hatte genügend Gelegenheiten gegeben. Doch Eitelkeit und Neugier und vier Tage voller Liebe hatten ihn in diesen Strom gezogen, den er von Anfang an hatte hinabtreiben sollen. Das war das Schlimmste an dieser ganzen Sache – der Triumph für SMERSCH, den einzigen Feind, den er geschworen hatte, zu besiegen, egal wo er ihm begegnen mochte. »Wenn wir dies tun, wird er das tun. Genossen, mit einem eitlen Narr wie Bond haben wir leichtes Spiel. Seht nur, wie er den Köder schluckt. Ihr werdet schon sehen. Ich sage euch, er ist ein Narr. Alle Engländer sind Narren.« Und Tatjana, der Köder – der liebliche Köder. Bond dachte an ihre erste gemeinsame Nacht zurück. Die schwarzen Strümpfe und das Samtband. Und die ganze Zeit über hatte SMERSCH zugesehen und beobachtet, wie er einen selbstgefälligen Schritt nach dem anderen machte, genau wie es geplant worden war. Damit die Schande langsam wachsen konnte – die Schande für ihn, die Schande für M, der ihn nach Istanbul geschickt hatte, die Schande für den Secret Service, der allein vom Mythos seines Namens lebte. Gott, was für ein Schlamassel! Wenn doch nur ... Wenn doch nur seine winzige Idee eines Plans funktionieren würde!
Das Rumpeln des Zuges wurde zu einem tiefen Dröhnen.
Nur noch ein paar Sekunden. Ein paar Meter.
Die ovale Öffnung zwischen den weißen Seiten des Buchs wirkte plötzlich breiter. In einer Sekunde würde der dunkle Tunnel das Mondlicht von den Seiten verschwinden lassen, und die blaue Zunge würde sich nach ihm ausstrecken.
»Süße Träume, Sie englischer Scheißkerl.«
Das Rumpeln wurde zu einem lauten, schnellen, klappernden Brüllen.
Der Buchrücken blitzte kurz auf.
Die Kugel, die auf Bonds Herz zuhielt, sauste über die kurze Entfernung.
Bond kippte nach vorn auf den Boden und lag ausgestreckt im trüben lilafarbenen Licht.
FÜNF LITER BLUT
Die Genauigkeit des Mannes war entscheidend gewesen. Nash hatte gesagt, dass Bond eine Kugel ins Herz bekommen würde. Bond war das Risiko eingegangen, dass Nash so gut zielen konnte, wie er behauptete. Und das war tatsächlich der Fall gewesen.
Bond lag da wie ein Toter. Bevor die Kugel abgefeuert worden war, hatte er sich die Leichen ins Gedächtnis gerufen, die er gesehen hatte – die Art und Weise, wie die toten Körper dagelegen hatten. Nun lag er vollkommen in sich zusammengesackt da, wie eine kaputte Puppe, die Arme und Beine wie zufällig von sich gestreckt.
Er überprüfte seine Sinne. An der Stelle, wo die Kugel in das Buch eingeschlagen war, schmerzten seine Rippen höllisch. Die Kugel musste durch das Zigarettenetui und dann durch die andere Hälfte des Buchs gegangen sein. Er konnte das heiße Blei über seinem Herzen spüren. Es fühlte sich so an, als ob es sich in seine Rippen brennen würde. Einzig der stechende Schmerz in seinem Kopf, mit dem er auf dem Holzboden aufgekommen war, und das lilafarbene Schimmern auf den abgenutzten Schuhspitzen vor seiner Nase verrieten ihm, dass er nicht tot war.
Wie ein Archäologe erkundete Bond die sorgfältig geplante Ruine seines Körpers. Die Position der ausgestreckten Füße. Der Winkel des halb gebeugten Knies, das ihm Halt geben würde, sobald er ihn brauchte. Die rechte Hand, die sein mutmaßlich durchlöchertes Herz zu umklammern schien befand sich in Reichweite des kleinen Aktenkoffers – und damit in Reichweite der seitlichen Nähte, in denen die flachen, rasiermesserscharfen Wurfmesser verborgen waren, über die er sich lustig gemacht hatte, als die Q-Abteilung ihm die Halterung vorgeführt hatte, in der sie steckten. Und seine linke Hand, die er im vorgetäuschten Tod von sich gestreckt hatte, ruhte auf dem Boden und würde ihm im entscheidenden Moment die nötige Hebelkraft geben.
Über ihm erklang ein langes, ausgiebiges Gähnen. Die braunen Schuhspitzen bewegten sich. Bond beobachtete, wie sich das Schuhleder anspannte, als Nash aufstand. In einer Minute würde Nash mit Bonds Waffe in der rechten Hand auf die Kante des unteren Betts steigen, nach oben greifen und unter dem Vorhang aus Haaren nach dem Nacken des Mädchens tasten. Dann würde er die Mündung der Beretta ansetzen und abdrücken. Das Dröhnen des Zugs würde den dumpfen Knall dämpfen.
Es würde eine verdammt knappe Angelegenheit werden. Bond versuchte verzweifelt, sich an sein Grundwissen in
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