James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition)
düsteren, hässlichen, adrett gekleideten Beamten waren also die modernen Türken. Er lauschte ihren Stimmen, die voller lauter Vokale, leiser Zischlaute und modifizierter U-Laute waren, und beobachtete die dunklen Augen, die die sanften, höflichen Stimmen Lügen straften. Es waren wache, zornige, grausame Augen, die erst kürzlich von den Bergen in die Zivilisation heruntergekommen waren. Bond glaubte, die Geschichte dieser Augen zu kennen. Es waren Augen, die jahrhundertelang darauf gedrillt worden waren, Schafe zu hüten und kleine Bewegungen am weit entfernten Horizont zu erkennen. Es waren Augen, die die Messerhand stets unbemerkt im Blick behielten, die die einzelnen Getreidekörner und die Münzen zählten und das leichte Zucken der Finger des Händlers bemerkten. Es waren harte, misstrauische, eifersüchtige Augen. Bond konnte sie nicht ausstehen.
Hinter dem Zoll trat ein hochgewachsener Mann mit herunterhängendem Schnurrbart aus den Schatten. Er trug einen langen Mantel und eine Chauffeursmütze. Er grüßte Bond, nahm, ohne nach seinem Namen zu fragen, seinen Koffer und führte ihn zu einem glänzenden Prachtstück von einem Auto – ein alter Rolls-Royce Coupé de Ville, von dem Bond vermutete, dass er Ende der Zwanziger für einen Millionär gebaut worden sein musste.
Während das Auto vom Flughafengelände glitt, drehte sich der Mann um und sagte in ausgezeichnetem Englisch über seine Schulter: »Kerim Bey dachte, Sie würden sich heute Abend lieber ausruhen wollen, Sir. Ich soll Sie morgen früh um neun abholen. In welchem Hotel sind Sie untergebracht, Sir?«
»Im Kristal Palas.«
»Sehr gut, Sir.« Der Wagen fuhr elegant über die breite moderne Straße.
Bond hörte vage, wie hinter ihnen in den gefleckten Schatten des Flughafenparkplatzes knatternd ein Motorroller gestartet wurde. Das Geräusch hatte für ihn keinerlei Bedeutung, und er lehnte sich zurück, um die Fahrt zu genießen.
DARKO KERIM
James Bond erwachte früh am Morgen in seinem schäbigen Zimmer im Kristal Palas im Stadtteil Pera und griff geistesabwesend nach unten, um einem unangenehmen Jucken an der Außenseite seines rechten Oberschenkels nachzugehen. Irgendetwas hatte ihn in der Nacht gebissen. Gereizt kratzte er sich an der Stelle. Das hätte er sich denken können.
Als er am vergangenen Abend eingetroffen war, um von einem schlecht gelaunten Nachtconcierge in einer Hose und einem Hemd ohne Kragen begrüßt zu werden, und sich kurz im Eingangsbereich mit den fliegenübersäten Palmen in den Kupfertöpfen und den ausgeblichenen maurischen Kacheln an Decke und Wänden umgesehen hatte, war ihm klar gewesen, was ihn dort erwartete. Er hatte kurz darüber nachgedacht, in ein anderes Hotel zu gehen. Müdigkeit und eine perverse Neigung für die heruntergekommene Romantik, die altmodischen Hotels auf dem Kontinent anhaftete, hatten ihn jedoch davon überzeugt, zu bleiben, und er hatte eingecheckt und war dem Mann dann in den alten flaschenzugähnlichen Fahrstuhl gefolgt, der sie in den dritten Stock brachte.
Sein Zimmer, in dem ein paar alte Möbel und ein eisernes Bettgestell standen, entsprach seinen Erwartungen. Er sah nur schnell nach, ob sich auf der Tapete hinter dem Kopfende des Betts die Blutflecke zerquetschter Insekten befanden, bevor er den Concierge entließ.
Er war zu voreilig gewesen. Als er ins Bad ging und den Warmwasserhahn aufdrehte, gab dieser ein tiefes Seufzen und gleich darauf ein würgendes Husten von sich, bis er schließlich einen kleinen Tausendfüßer ins Waschbecken spuckte. Bond spülte den Tausendfüßer mürrisch mit einem dünnen Stahl aus bräunlichem Wasser aus dem Kaltwasserhahn in den Abfluss. So viel dazu, überlegte er ironisch, dass er sich das Hotel deswegen ausgesucht hatte, weil ihn der Name amüsierte und er dem bequemen Leben in den großen Hotels entkommen wollte.
Aber er hatte gut geschlafen, und nun beschloss er, seine Bequemlichkeit zu vergessen und den Tag zu beginnen – unter dem Vorbehalt, dass er irgendwo ein Insektenschutzmittel kaufen musste.
Bond stieg aus dem Bett, zog die schweren roten Stoffvorhänge auf, lehnte sich auf das eiserne Geländer und sah auf einen der berühmtesten Ausblicke der Welt hinaus. Zu seiner Rechten lag das stille Wasser des Goldenen Horns, zu seiner Linken die tanzenden Wellen des ungeschützten Bosporus, und dazwischen befanden sich die durcheinandergewürfelten Dächer, hoch aufragenden Minarette und gedrungenen Moscheen von Pera. Also
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