Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
James Bond 06 - Dr. No (German Edition)

James Bond 06 - Dr. No (German Edition)

Titel: James Bond 06 - Dr. No (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Fleming
Vom Netzwerk:
Das Gefühl des Sands erinnerte ihn daran, wo er sich befand. Er warf einen Blick auf seine Uhr. Es war schon zehn. Die Sonne schien bereits heiß durch die rundlichen, dicken Blätter des Meertraubenbaums. Über den gesprenkelten Sand vor seinem Gesicht bewegte sich ein großer Schatten. Quarrel? Bond hob den Kopf und spähte durch das Dickicht aus Blättern und Gräsern, die ihn vom Strand aus verbargen. Er erstarrte. Sein Herz setzte einen Schlag aus und begann dann, so schnell zu schlagen, dass er tief durchatmen musste, um es wieder zu beruhigen. Während er durch das Gestrüpp starrte, waren seine Augen nicht mehr als schmale Schlitze.
    Es war eine nackte Frau, die mit dem Rücken zu ihm stand. Das einzige Kleidungsstück, das sie trug, war ein breiter Ledergürtel um ihre Taille, mit einem Jagdmesser daran, das von ihrer rechten Seite baumelte. Der Gürtel ließ ihre Nacktheit außerordentlich erotisch wirken. Sie stand nicht mehr als fünf Meter entfernt an der Gezeitenlinie und betrachtete ihre Hand. Ihre Haltung erinnerte an die klassischer Statuen. Ihr ganzes Gewicht ruhte auf dem rechten Bein, das linke Knie war gebeugt und leicht nach innen gedreht und der Kopf zur Seite geneigt, während sie etwas in ihrer Hand untersuchte.
    Es war ein wunderschöner Rücken. Die Haut hatte eine gleichmäßige, leichte Bräune, die ihn an die Farbe von Café au Lait erinnerte. Die sanfte Rundung des Rückgrats lag recht tief, was auf kräftigere Muskeln hindeutete, als sie bei einer Frau üblich waren, und der Hintern war fast so fest und rund wie bei einem Jungen. Die Beine waren gerade und schön, und unter dem leicht angehobenen linken Fuß zeigte sich kein Rosa. Sie war also keine Farbige.
    Ihr Haar war aschblond und hing ihr in dicken, feuchten Strähnen auf die Schultern. Sie hatte sich eine grüne Tauchermaske auf die Stirn hochgeschoben, und der grüne Gummiriemen hielt ihre Haare am Hinterkopf zusammen.
    Die ganze Szene, der leere Strand, das türkisfarbene Meer, die nackte Frau mit dem goldenen Haar, das alles erinnerte Bond an etwas. Er durchforschte sein Gedächtnis. Ja, sie war Botticellis Venus, von hinten betrachtet.
    Wie war sie hierher gelangt? Was tat sie? Bond blickte den Strand entlang. Jetzt sah er, dass der Sand doch nicht schwarz war, sondern von einem dunklen Schokoladenbraun. Rechts konnte er bis zur Flussmündung sehen, die vielleicht fünfhundert Meter entfernt war. Der Strand war leer und ohne besondere Merkmale, abgesehen von ein paar verstreuten kleinen, rosafarbenen Objekten. Bond nahm an, dass es sich um eine Art Muscheln handelte, und sie wirkten auf dem dunkelbraunen Hintergrund äußerst dekorativ. Er sah nach links, wo in etwa zwanzig Metern Entfernung die Felsen einer kleinen Landzunge begannen. Ja, dort war eine Spur im Sand, die von einem Kanu stammte. Sie hatte es wohl zwischen den Felsen versteckt. Es musste ein leichtes Boot gewesen sein, sonst hätte sie es nicht allein den Strand hinaufziehen können. Vielleicht war sie ja gar nicht allein. Aber es führte nur eine Spur Fußabdrücke von den Felsen zum Meer. Eine weitere verlief vom Wasser zum Strand, wo sie jetzt an der Gezeitenlinie stand. Lebte sie hier, oder war sie ebenfalls über Nacht von Jamaika aus hergesegelt? Das wäre für eine Frau eine ganz schöne Leistung. Aber was in Gottes Namen
machte
sie hier?
    Wie zur Antwort ließ die Frau aus ihrer rechten Hand ein Dutzend Muscheln auf den Sand neben sich fallen. Es schien sich dabei um die gleichen rosafarbenen Muscheln zu handeln, die Bond am Strand hatte liegen sehen. Die Frau sah in ihre linke Hand und begann leise zu pfeifen. Sie pfiff das Lied »Marion«, eine wehmütige kleine Weise, die auch außerhalb Jamaikas bekannt geworden war und schon immer zu Bonds Lieblingsliedern gehört hatte. Der Text lautete folgendermaßen:
    All day, all night, Marion,
Sittin’ by the seaside siftin’ sand …
    Das Mädchen brach ab und streckte ihre Arme in einem langen Gähnen weit aus. Bond musste schmunzeln. Er befeuchtete seine Lippen und nahm den Refrain auf:
    »The water from her eyes could sail a boat,
The hair on her head could tie a goat …«
    Sie riss ihre Hände herunter und hielt sie vor ihre Brust. Die Muskeln ihres Rückens spannten sich an. Sie legte den Kopf, der immer noch hinter dem Vorhang ihres Haars versteckt war, auf die Seite und lauschte.
    Zögerlich begann sie erneut. Das Pfeifen war unsicher und erstarb. Beim ersten Ton von Bonds Echo wirbelte die Frau

Weitere Kostenlose Bücher