James Bond 06 - Dr. No (German Edition)
letzten wirklichen Seeungeheuer, deren Größe nur dadurch bekannt war, weil man ihre Überreste gelegentlich im Inneren von Walen fand. Was würde passieren, wenn eine Welle das Kanu an der Breitseite traf und sie umwarf? Wie lange würden sie überleben? Bond legte einen Hauch mehr Kraft in sein Rudern und schob den Gedanken beiseite.
Ein Uhr, zwei Uhr, drei, vier. Quarrel erwachte und streckte sich. Leise rief er Bond zu: »Ah, ich rieche Land, Cap’n.« Schon bald tauchte in der Dunkelheit vor ihnen ein breiter Umriss auf. Schnell nahm der Schatten die Gestalt einer riesigen schwimmenden Ratte an. Hinter ihnen tauchte langsam ein blasser Mond auf. Nun konnte man die Insel deutlich erkennen. Sie war noch ein paar Kilometer entfernt, aber man hörte bereits das entfernte Rauschen der Brandung.
Sie wechselten wieder ihre Position. Quarrel holte das Segel ein, und sie nahmen die Paddel wieder in die Hand. Bond schätzte, dass sie noch für mindestens anderthalb weitere Kilometer im Wellental geschützt sein würden. Nicht einmal das Radar würde sie von einem Wellenkamm unterscheiden können. Es war der letzte Kilometer, auf dem sie sich beeilen mussten, wenn die Morgendämmerung kurz bevorstand.
Nun konnte auch er das Land riechen. Es hatte keinen besonderen Geruch, sondern war nach Stunden der sauberen Meeresluft einfach etwas Neues in der Nase. Er konnte bereits die weiße Gischt erkennen. Die Dünung ließ nach, und die Wellen wurden rauer. »Jetzt, Cap’n!«, rief Quarrel, und Bond, dem bereits der Schweiß vom Kinn tropfte, grub das Paddel tiefer und öfter ins Wasser. Gott, war das harte Arbeit! Das Stück Holz, das unter dem Segel so schnell über das Meer geschossen war, schien nun kaum noch vorwärts zu kommen. Bonds Schultern begannen zu brennen wie Feuer. Das Knie, auf das er sich stützte, wurde wund. Seine Hände verkrampften sich um die Bleigriffe der Paddel.
Es war kaum zu glauben, aber endlich näherten sie sich dem Riff. Unter dem Boot erhaschte er einen Blick auf sandigen Boden. Inzwischen brüllte die Brandung regelrecht. Sie folgten dem Rand des Riffs und suchten nach einer Öffnung. Ein paar Hundert Meter im Inneren des Riffs schimmerte hinter der Sandlinie Wasser, das ins Inselinnere führte. Der Fluss! Dann waren sie also richtig. Die Brandungswand ebbte ab, und sie mussten aufpassen, um nicht gegen versteckte Korallen zu stoßen. Ein paar knirschende Schläge noch, eine plötzliche Vorwärtsbewegung und das Kanu bewegte sich langsam über eine glatte Spiegeloberfläche Richtung Strand.
Quarrel steuerte das Boot auf die windgeschützte Seite einer Felsformation zu, wo der Strand endete. Bond fragte sich, warum der Strand im schwachen Mondlicht nicht weiß strahlte. Als sie gelandet waren und Bond mit steifen Gliedern ausstieg, verstand er warum. Der Strand war schwarz. Der Sand war weich und fühlte sich an den Füßen wunderschön an, aber er musste aus Vulkangestein bestehen, das über die Jahrhunderte zermahlen worden war, und Bonds nackte Füße wirkten darauf wie weiße Krebse.
Sie beeilten sich. Quarrel holte drei dicke Bambusstangen aus dem Boot und legte sie auf den flachen Strand. Dann hievten sie die Nase des Kanus auf die erste und schoben das Boot auf die Rollen. Nach jedem Meter Fortschritt hob Bond die hinterste Stange auf und brachte sie nach vorne. So bewegten sie das Kanu langsam den Strand hinauf, bis sie über die letzte Gezeitenlinie hinaus waren und das kleine Boot zwischen den Felsen und Büschen lag. Sie schoben es noch zwanzig Meter weiter ins Landesinnere, in die Ausläufer eines Mangrovenwalds. Dort bedeckten sie es mit getrocknetem Seetang und Treibholz. Dann schnitt Quarrel Blätter von einem Schraubenbaum ab und verwischte damit ihre Spuren am Strand.
Es war immer noch dunkel, aber der Hauch von Grau im Osten würde schon bald heller werden. Es war fünf Uhr morgens. Bond und Quarrel waren todmüde. Sie sprachen kurz miteinander, dann verschwand Quarrel zwischen den Felsen. Bond grub sich eine Vertiefung in den feinen, trockenen Sand unter einem dichten Meertraubenbaum. Neben seinem Bett entdeckte er ein paar Einsiedlerkrebse. Er hob so viele auf, wie er finden konnte, und warf sie in die Mangroven. Dann streckte er sich, ohne weiter darauf zu achten, was für andere Tiere von seinem Geruch und seiner Wärme angelockt werden könnten, auf dem Sand aus und legte seinen Kopf auf seinen Arm.
Er schlief sofort ein.
DIE ELEGANTE VENUS
Bond erwachte träge.
Weitere Kostenlose Bücher