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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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vermutlich Robinson, 1900. So etwa schwebt es mir vor.
    Nach dem Essen blickte der Kapitän immer wieder auf die Bucht hinaus, und als er bemerkte, dass eine leichte Brise aufkam, äußerte er den Wunsch, ein, zwei Stunden vor der Küste zu kreuzen. Er schlug vor, wir sollten am Strand entlang zu einer Stelle spazieren, die zwei Meilen nördlich lag, und ihn dort treffen. Nachdem seine Tochter diesem Vorschlag zugestimmt hatte, machte er sich mit dem nun leichteren Korb auf den Weg, und schon eine knappe halbe Stunde später sahen wir ihn vom Strand ablegen. Miss Blunt und ich brachen erst viel, viel später zu unserem Spaziergang auf. Wir blieben zunächst unter den Bäumen sitzen und unterhielten uns. Zu unseren Füßen erstreckte sich eine breite Spalte in den Hügeln – beinahe ein enges Tal – bis hinunter zu dem stillen Strand. Dahinter lag die vertraute Küstenlinie. Doch wie schon viele Philosophen erkannten, hat alles einmal ein Ende, und schließlich standen wir auf.
Miss Blunt meinte, sie lege wohl besser ihr Umschlagtuch um, da es allmählich kühler werde. Ich half ihr, es in die passende Form zu bringen, und legte es ihr dann um die Schultern, legte ihr karminrotes Umschlagtuch über ihren schwarzen Seidenmantel. Dann band sie sich ihr Halstuch wieder um und gab mir ihren Hut zum Halten, derweil sie einige ihrer Haarnadeln neu verteilte. In dem Bestreben, humorvoll zu sein, setzte ich mir ihren Hut auf, worüber sie liebenswürdigerweise lächelte, während sie sich mit gesenktem Kopf und erhobenen Ellbogen an ihren Haarsträhnen zu schaffen machte. Dann strich sie ihr Kleid glatt, zog ihre Handschuhe an und sagte schließlich:«Nun denn!» – jener unvermeidliche Tribut an Zeit und moralische Grundsätze, der selbst auf die mildeste Form von Ausschweifung folgt. Ganz langsam wanderten wir das kleine Tal hinunter, und langsam folgten wir auch den Biegungen des schmalen Strandes, der sich am Fuß der niederen Klippen entlangwindet. Wir stießen auf keinerlei Anzeichen menschlichen Lebens. Unsere Unterhaltung brauche ich wohl nicht zu wiederholen. Ich denke, ich darf sie der Obhut meines Gedächtnisses anvertrauen: Ich werde mich bestimmt an sie erinnern. Sie war sehr sachlich und
vernünftig – eine Unterhaltung von der Art, an die man sich mühelos und gern erinnert; sie war geradezu prosaisch – zumindest hätte ich, wenn es denn eine Spur von Poesie gegeben hätte, denjenigen sehen mögen, der sie herausgehört hätte. Von keiner Seite kamen überschwengliche Gefühle oder Äußerungen; ja von einer Seite kamen überhaupt kaum Äußerungen. Aber irre ich mich, wenn ich annehme, dass durchaus Gefühle von einer gewissen stillen Art im Spiel waren? Miss Blunt wahrte ein vielsagendes, goldenes Schweigen. Ich dagegen war sehr gesprächig. Was für eine angenehme Zuhörerin sie ist!

    1. September. – Ich habe eine Woche lang tüchtig gearbeitet. Heute ist der erste Herbsttag. Habe Miss Blunt ein wenig Wordsworth 26 vorgelesen.

    10. September. Mitternacht. – Habe ohne Unterbrechung gearbeitet – das heißt, bis einschließlich gestern. Doch mit dem Tag, der jetzt endet – oder beginnt –, fängt eine neue Ära an. Mein mit Belanglosigkeiten angefülltes armes altes Tagebuch, endlich soll dir etwas Gewichtiges anvertraut werden.
    Seit drei Tagen haben wir kühles, feuchtes Wetter. Es wird früh dämmrig. Heute Abend
ging der Kapitän nach dem Essen in die Stadt – geschäftlich, wie er sagte: Ich glaube, um an der Sitzung irgendeines Armenhaus- oder Krankenhausausschusses teilzunehmen. Esther und ich gingen ins Wohnzimmer. Der Raum schien uns kalt. Esther hatte die Lampe aus dem Esszimmer mitgebracht und schlug vor, ein kleines Feuer zu machen. Ich holte einen Armvoll Holz aus der Küche, und während sie die Vorhänge zuzog und den Tisch zum Kamin rollte, entfachte ich ein fröhlich prasselndes Feuer. Vor vierzehn Tagen hätte sie mir das noch nicht ohne Protest gestattet. Sie hätte sich zwar nicht erboten, selbst Feuer zu machen – sie nicht! –, aber sie hätte gesagt, ich sei nicht hier, um sie zu bedienen, sondern um mich bedienen zu lassen, und sie hätte so getan, als wolle sie Dorothy rufen. Natürlich hätte ich mich durchgesetzt. Doch all das haben wir hinter uns. Esther ging zu ihrem Klavier, und ich ließ mich mit einem Buch nieder. Ich las kein einziges Wort. Ich saß da, betrachtete meine Gastgeberin und dachte bangen Herzens nach. Zum ersten Mal seit dem Beginn unserer

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