James, Henry
geistesabwesend, gleichgültig, launisch. Sie äußerte befremdliche Ansichten und schmiedete absonderliche Pläne. Allerdings widerfuhren ihnen tatsächlich fortwährend unangenehme Dinge – Dinge, die selbst den Gelassensten auf eine harte Probe gestellt hätten. Ihre Postpferde brachen zusammen, ihre Postillione benahmen sich unverschämt, ihr Gepäck ging verloren, ihre Dienstboten betrogen sie. Sogar der Himmel
schien sich der Verschwörung anzuschließen – tagelang war er trüb und zeigte sich wenig freundlich, schickte ihnen nur heulenden Wind und Regenwolken. Agatha beurteilte diese Zeit großteils rückblickend von der Warte späterer Jahre aus, doch schon damals empfand sie sie als niederschmetternd, beklemmend und absonderlich. Diana schien ihre Meinung zu teilen, auch wenn sie es nie offen zugab. Sie flüchtete sich in eine Art hochmütigen Schweigens, und wenn sie von einer neuerlichen Katastrophe erfuhr, nahm sie diese lediglich mit einem bitteren Lächeln zur Kenntnis – einem Lächeln, das Agatha immer als spöttischen Tadel an dem armen wunderlichen, aufdringlichen Mr Longstaff interpretierte, der, durch einen mysteriösen Eingriff in das Wirken der Natur, diesen Umschwung in ihren Geschicken herbeigeführt hatte. Gegen Ende des Sommers schlug Diana im Tonfall eines Menschen, der einen aussichtslosen Kampf aufgibt, plötzlich vor, dass sie nach Hause fahren sollten. Agatha willigte ein, und die beiden Damen kehrten nach Amerika zurück, sehr zur Erleichterung von Miss Josling, die das unbehagliche Gefühl hatte, irgendetwas Unausgesprochenes und Ungeklärtes, das ihre Unterhaltung bedrückend machte wie einen schwülen
Morgen, stehe zwischen ihnen. Doch zu Hause trennten sie sich äußerst liebevoll voneinander, als Agatha aufs Land musste, um sich ihren nächsten Verwandten zu widmen. Diese guten Leute nahmen sie, nach ihrer langen Abwesenheit, völlig in Beschlag, so dass sie von ihrer einstigen Gefährtin zwei Jahre lang nichts sah.
Sie hörte jedoch oft von ihr, und auch im Stadtklatsch, der zuweilen bis in ihr ländliches Heim getragen wurde, spielte Diana eine Rolle. Manchmal war ihre Rolle befremdlich – nämlich die einer leichtlebigen, gefallsüchtigen Frau, die Liebeleien zu Hunderten hatte und Herzen zu Dutzenden brach. Das war früher nicht Dianas Art gewesen, und die Veränderung in ihrem Wesen stimmte Agatha nachdenklich. Die Briefe der jungen Dame verrieten indes wenig über deren Bewunderer und prahlten nicht mit Trophäen. Sie trafen unregelmäßig ein – zuweilen ein Dutzend in einem Monat, dann wieder gar keiner; doch waren sie für gewöhnlich ernst und tiefsinnig und enthielten die Ansichten der Verfasserin über Leben und Tod, Religion und Unsterblichkeit. Da Diana ihre eigene Herrin war und ein hübsches Vermögen besaß, stand zu erwarten, dass irgendwann aus zuverlässiger Quelle die Nachricht eintreffen werde, sie habe
den Antrag eines ihrer angeblich so zahlreichen Liebhaber angenommen. Eine solche Nachricht traf tatsächlich ein, und sie war ganz offenkundig zuverlässig, stammte sie doch von der jungen Dame höchstpersönlich. Sie schrieb Agatha, dass sie heiraten werde, und Agatha gratulierte ihr unverzüglich zu ihrem Glück. Daraufhin schrieb Diana zurück, dass sie zwar bald heiraten werde, aber keineswegs glücklich sei; und wenig später fügte sie hinzu, dass sie weder glücklich sei noch heiraten werde. Sie habe ihre Verlobung gelöst und sei weniger glücklich denn je. Die arme Agatha war zutiefst bestürzt und fand es tröstlich, dass ihre Freundin sie einen Monat später dringlich aufforderte, zu ihr zu kommen. Sie gehorchte umgehend.
Als sie, nach einer langen Reise, in der Wohnung ihrer jungen Gastgeberin ankam, sah sie Diana am anderen Ende des Salons stehen; sie hatte ihr den Rücken zugekehrt und blickte zum Fenster hinaus. Ganz offensichtlich hielt sie Ausschau nach Agatha, doch Miss Josling hatte das Haus zufällig durch einen Nebeneingang betreten, der vom Fenster aus nicht zu sehen war. Erst als sie sich ihrer Freundin leise näherte, drehte Diana sich zu ihr um. Sie hatte die Hände an die Wangen gelegt, ihre Augen blickten
traurig; ihre Züge und ihre Haltung hatten einen Ausdruck, den Agatha schon einmal bei ihr gesehen hatte und der ihr im Gedächtnis haftengeblieben war. Während sie Diana küsste, erinnerte Agatha sich, dass sie in jenem letzten Augenblick genau so vor dem armen Mr Longstaff gestanden hatte.
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