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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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ihr vorbeiging; und diese Hoffnung war es auch gewesen, die sie so viele englische Landsitze aufsuchen ließ. Ihr war bewusst, dass ihre Liebe sehr seltsam war; sie konnte nur sagen, dass sie sich in Liebe zu ihm verzehrt hatte. Diese war erst später in ihr erwacht – als sie im Nachhinein über alles nachdachte. Oder besser gesagt: Ihre Liebe zu ihm war, wie sie vermutete, schon seit dem Augenblick da gewesen, als
sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, aber erst zum Vorschein gekommen, als sich, nachdem sie sich von seinem Krankenbett entfernt hatte, ihr Unmut allmählich in Mitleid verwandelte. Und damit einher war die feste Überzeugung gegangen, er sei tatsächlich genesen, und zwar sowohl von seiner Krankheit als auch von seiner Liebe zu ihr. Das war ihre Strafe! Dann sprach sie mit einer göttlichen Schlichtheit weiter; Agatha, die ebenfalls ein wenig weinte, wünschte, der junge Mann hätte Dianas Worte hören können, wenn sie denn wirklich ernst gemeint waren.«Ich bin so froh, dass er gesund und kräftig ist. Und dass er so stattlich und gut aussieht!»Und gleich darauf fügte sie hinzu:«Natürlich ist er nur gesund geworden, um mich zu hassen. Er möchte mich nie mehr sehen. Nun gut. Mein Wunsch ging in Erfüllung: Ich habe ihn noch einmal gesehen. Das ist es, was ich wollte, nun kann ich zufrieden sterben.»
    Tatsächlich hatte es den Anschein, als würde sie sterben. Sie ging nicht mehr in den Petersdom und setzte sich nicht mehr der Gefahr weiterer Begegnungen mit Mr Longstaff aus. Sie saß an ihrem Fenster und schaute auf die gesprenkelten Dryaden 13 und die Zypressen hinaus oder wanderte mit einer geistesabwesend-heiteren
Schicksalsergebenheit in ihrem Teil des Palastes umher. Agatha beobachtete sie erfüllt von einer Traurigkeit, die sich weniger klaglos fügte. Auch davon hatte sie schon gehört, hatte in Gedichten und Romanen davon gelesen, aber nie gedacht, dass sie es selbst einmal aus nächster Nähe miterleben würde – ihre Gefährtin starb an der Liebe! Agatha dachte über vieles nach und fasste mehrere Entschlüsse. Als Erstes beschloss sie, nach einem Arzt zu schicken. Dieser kam, und Diana gestattete es ihm, sie durch seine Brille hindurch anzusehen und ihr weißes Handgelenk zu halten. Er erklärte, sie sei krank, und sie erwiderte lächelnd, das wisse sie; dann gab er ihr ein kleines Fläschchen mit einer goldfarbenen Flüssigkeit, die er sie zu trinken anwies. Er empfahl ihr, in Rom zu bleiben, da das Klima genau das richtige gegen ihr Leiden sei. Agathas zweites Anliegen war es, mit Mr Longstaff zu sprechen, der sich in den Tagen seiner eigenen Drangsal an sie gewandt hatte und an den sie sich deshalb, so ihre Überlegung, nun ebenfalls wenden durfte. Auch konnte sie einfach nicht glauben, dass die Leidenschaft tatsächlich erloschen war, die ihn in Nizza zu jenem außergewöhnlichen Schritt veranlasst hatte; Leidenschaften wie diese sterben nie. Wenn er keinen weiteren Versuch
unternommen hatte, Diana wiederzusehen, so lag dies sicherlich daran, dass er glaubte, sie sei noch immer so kaltherzig wie damals, als sie sich von seinem Totenbett abgewandt hatte. Hinzu kommt, dass Agatha eine legitime Neugier empfand, zu erfahren, wie er denn von jenem Totenbett auferstanden und wieder zu blühender Manneskraft gelangt war. Dies war ihr völlig unerklärlich.
    Agatha ging in den Petersdom, überzeugt, dass sie ihn früher oder später dort treffen würde. Nach einer knappen Woche sah sie ihn, und als er sie ebenfalls entdeckte, kam er sogleich zu ihr, um mit ihr zu reden. Wie Diana gesagt hatte, war er jetzt ausgesprochen stattlich und sah außerordentlich gut aus. Er war ein ruhiger, vor Gesundheit strotzender, galanter junger englischer Gentleman. Er wirkte sehr verlegen, doch aus seinem Verhalten Agatha gegenüber sprach höchste Wertschätzung.
    « Sie müssen mich für einen schrecklichen Betrüger halten», sagte er sehr ernst.«Aber ich lag tatsächlich im Sterben – zumindest war ich davon überzeugt.»
    « Und welchem Wunder verdanken Sie Ihre Genesung?»
    Er schwieg einen Augenblick, dann sagte er:
« Vermutlich dem Wunder verletzten Stolzes!»Ihr fiel auf, dass er sie gar nicht nach Diana fragte, und im selben Moment spürte sie, dass er wusste, was ihr gerade durch den Kopf ging.« Das Seltsamste aber war», fuhr er fort,«dass mir, sobald ich wieder zu Kräften kam, alles, was davor gewesen war, nur noch wie ein Traum erschien. Und was mir kürzlich hier widerfuhr», fügte

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