James, Henry
Ausland begleiten?», fragte Diana.«Ich bin sehr krank.»
« Was fehlt dir, Liebste?», fragte Agatha.
« Ich weiß es nicht; ich glaube, ich werde sterben. Die Ärzte sagen, die Gegend hier bekomme mir nicht; ein anderes Klima wäre besser für mich; ich müsse reisen. Wirst du auf mich aufpassen? Es wird jetzt sehr leicht sein, auf mich aufzupassen.»
Anstatt zu antworten, umarmte Agatha sie erneut, und die beiden Freundinnen schifften sich danach so schnell es ging abermals nach Europa ein. Miss Josling hatte sich umso bereitwilliger auf dieses Vorhaben eingelassen, als das Aussehen ihrer Gefährtin deren Worte nachdrücklich zu bestätigen schien. Nicht, dass sie unbedingt den Eindruck erweckte, als werde sie bald sterben; doch in den zwei Jahren, die seit ihrer Trennung vergangen waren, war sie hinfällig und hager geworden. Sie schien in dieser Zeit um mehr
als zwei Jahre gealtert, ihre Schönheit war nicht mehr so strahlend. Sie sah bleich und matt aus, und sie bewegte sich langsamer als damals, da sie einer Göttin ähnelte, die über das Waldlaub schritt. Die schöne Statue war menschlich geworden und wies Anzeichen menschlicher Unvollkommenheit auf. Dennoch versicherten die Ärzte, sie sei keineswegs todkrank, und als einer von ihnen von einer neugierigen Matrone gefragt wurde, weshalb er dieser jungen Dame eine Reise nach Übersee empfohlen habe, erwiderte er mit einem Lächeln, er habe es sich zum Prinzip gemacht, die Arzneien zu verordnen, nach denen es seine Patienten am meisten verlangte.
Bislang hatten die wackeren Reisenden keine unliebsamen Vorkommnisse erlebt. Der verflogene Zauber hatte sich wieder eingestellt; der Himmel war ihnen hold, und ihre Postillione behandelten sie wie Prinzessinnen. Auch hatte Diana ihre angeborene Gelassenheit vollends wiedererlangt; sie war die sanfteste, fügsamste, vernünftigste Frau, die man sich denken konnte. Sie war schweigsam und bedrückt, wie es für eine Kranke nur natürlich ist; allerdings stand in einem wichtigen Punkt ihr Verhalten zweifelsfrei im Widerspruch zu der Vorstellung, die
man sich von einem kränkelnden Menschen macht. Ihr war weit mehr nach Bewegung denn nach Ruhe zumute, und fortwährende Ortswechsel prägten ihre Tage. Sie wollte all die Orte sehen, die sie noch nicht gesehen hatte, und all jene, die sie schon kannte, noch einmal besuchen.
« Sollte ich tatsächlich sterben», sagte sie mit einem sanften Lächeln,«muss ich doch zum Abschied überall meine Visitenkarte abgeben.»So verbrachte sie ihre Tage in einer großen offenen Kutsche, lehnte sich darin zurück und besah sich, rechts und links, alles, woran sie vorbeikam. Auf ihrer ersten Europareise hatte sie nur wenig von England gesehen, und sie beschloss nun, die berühmte Insel in ihrer Gänze zu bereisen. Wochenlang rollte sie durch die schöne englische Landschaft, an Wiesen und Hecken vorbei, über die Alleen großer Landgüter und am Fuß der Mauern von Burgen und Klöstern entlang. Für die englischen Parks und Herrenhäuser, die « halls »und «courts » 12 , hegte sie eine besondere Bewunderung, und sie bestand darauf, all jene zu besichtigen, die interessierten Touristen offenstanden. Hier ließ sie ihre Kutsche unter den Eichen und Buchen anhalten und saß oft eine ganze Stunde lang da, um den Nachtigallen zu
lauschen und dem Wild beim Äsen zuzusehen. Sie versäumte es nie, ein herrschaftliches Anwesen zu besuchen, das auf ihrem Weg lag, und sobald sie in eine Stadt kam, erkundigte sie sich eingehend, ob es in der Gegend schöne Landsitze gab. Auf diese angenehme Art verbrachte sie einen ganzen Sommer. Den Herbst hindurch reiste sie weiter rastlos durch die Lande, besuchte unzählige Kurbäder und Touristenorte auf dem Kontinent. Zu Beginn des Winters traf sie in Rom ein, wo sie gestand, sehr müde zu sein, und endlich bereit war, sich ein wenig auszuruhen.
« Ich bin erschöpft, völlig erschöpft», sagte sie zu ihrer Gefährtin.«Ich wusste ja gar nicht, wie erschöpft ich war. Am liebsten möchte ich mich in dieser Stadt der Ruhe niederlassen und für immer hier ruhen.»
Sie bezog in einem alten Palast Quartier, wo ihr Schlafzimmer mit Wandteppichen aus vergangenen Jahrhunderten ausgekleidet und ihr Empfangszimmer mit einem päpstlichen Wappen geschmückt war. Hier überließ sie sich ihrer Müdigkeit, hörte sie auf, umherzuwandern. Einzig und allein den Petersdom besuchte sie täglich. Sonst ging sie nirgendwohin. Sie saß den ganzen Tag am Fenster, im
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