James, Henry
einwilligen, die Mr Longstaff
vorgeschlagen hatte, und hatte ihr Feingefühl sie auch veranlasst, sich zurückzuziehen, so gestattete es ihr doch, begierig zu lauschen, was Diana sagen würde. Als sie dann aber nichts hörte, trat es hinter dem Verlangen zurück, wieder hineinzugehen und Diana, mit einem mitfühlenden Kuss, einen Ratschlag zuzuflüstern. Sie drehte sich um und warf einen Blick auf die Barmherzigen Schwestern, die offenbar erkannt hatten, dass der entscheidende Moment gekommen war. Eine von ihnen verließ ihre Stellung und folgte Agatha ein paar Schritte ins Nebenzimmer, als diese es erneut betrat. Diana war aus ihrem Sessel aufgestanden. Sie sah sich beklommen um – sie griff nach Agathas Hand. Reginald Longstaff lag mit seinem eingefallenen Gesicht und seinen leuchtenden Augen da und schaute sie beide an. Agatha nahm die Hände ihrer Freundin in die ihren.
« Es ist kein großer Aufwand, Liebste», murmelte sie,«und es wird ihn sehr glücklich machen. »
Der junge Mann hatte Dianas Bemerkung offenkundig gehört, und er wiederholte die Worte in flehentlichem Ton.«Es ist kein großer Aufwand, Liebste!»
Diana wandte sich einen Moment zu ihm um.
Dann verbarg sie das Gesicht einen Moment in den Händen, ehe sie diese ein wenig zurückzog und über die Fingerspitzen hinweg ihre Gefährtin mit Augen ansah, an deren Ausdruck Agatha sich ihr Leben lang erinnerte – Augen, in denen, aus Dianas ernstem Antlitz heraus, plötzlich ein Anflug von Hohn aufblitzte.
« Und wenn er dann doch nicht stirbt?», murmelte sie.
Longstaff hörte es; er stöhnte leise auf und wandte sich ab. Sogleich trat die Schwester von der anderen Seite an sein Bett, fiel auf die Knie und beugte sich über ihn, während er den Kopf an den großen weißen Kragen lehnte, auf dem ihr Kruzifix ruhte. Diana blieb noch einen Augenblick stehen und sah ihn an; dann raffte sie mit großer Würde ihr Umschlagtuch vor der Brust zusammen und ging langsam aus dem Zimmer. Agatha blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Der alte Italiener, der ihnen die Tür aufhielt, verabschiedete sie mit einer übertrieben tiefen Verbeugung.
Die Wangen gerötet, blieb Diana im Garten kurz stehen und sagte:«Er wird auch so sterben können!»Draußen vor dem Gartentor, auf der menschenleeren sonnigen Straße, brach sie dann aber plötzlich in Tränen aus.
Agatha machte Diana keine Vorhaltungen, ja sie verlor kein Wort über die Sache; ihre Gefährtin kam im Laufe des Tages jedoch immer wieder mit geradezu leidenschaftlicher Entrüstung auf Mr Longstaff zu sprechen. Sie bezeichnete sein Verhalten als taktlos, egoistisch, unerhört; sie erklärte, die Szene sei empörend gewesen. Agatha schwieg für den Augenblick, doch am nächsten Tag versuchte sie, den armen jungen Mann ein wenig in Schutz zu nehmen. Daraufhin bat Diana sie aufgebracht und mit allem Nachdruck, sie möge die Güte haben, seinen Namen nie mehr zu erwähnen, und sie fügte hinzu, dieser abscheuliche Vorfall habe ihr Nizza gänzlich verleidet, weshalb sie den Ort sofort verlassen würden. Das taten sie dann auch unverzüglich; sie begannen wieder umherzureisen. Agatha hörte nichts mehr von Reginald Longstaff; die Engländerinnen, die ursprünglich ihre Informationsquelle in Bezug auf ihn gewesen waren, hatten Nizza inzwischen ebenfalls verlassen, sonst hätte sie ihnen geschrieben und sie um Auskunft gebeten. Das heißt, sie hätte überlegt, ihnen zu schreiben, denn vermutlich hätte sie sich die Befriedigung dieses Bedürfnisses aus Loyalität zu ihrer Freundin dann doch versagt. Jedenfalls musste Agatha sich damit bescheiden, hie und
da in einer einsamen Stunde eine Träne über die unerhört gebliebene Bitte und den frühen Tod des jungen Mannes zu vergießen. Man muss allerdings einräumen, dass sich, als die Wochen vergingen, zuweilen ein gewisses leichtes Missvergnügen in ihr Mitleid mischte – dass sie, grob gesagt, wünschte, der arme Mr Longstaff hätte sie in Ruhe gelassen. Seit jener sonderbaren Unterredung an seinem Bett waren die Dinge nicht mehr gut gelaufen; der Zauber ihrer früheren Reisen schien verflogen. Agatha sagte sich, wenn sie abergläubisch wäre, könnte sie sich tatsächlich einbilden, Dianas Verhalten in dieser Angelegenheit hätte einen Fluch über sie gebracht. Doch hatte es sicherlich nichts mit Aberglauben zu tun, wenn man zu der Überzeugung gelangte, diese junge Dame habe eine gewisse hochherzige Sanftmut verloren. Sie war ungeduldig,
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