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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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sie ihrem Gegenüber versichert hatte, sie werde über das, was er ihr gesagt hatte, nachdenken, und folgte, völlig aufgewühlt, ihrer Gefährtin ins Haus. Spät an jenem Abend ließ sich ihre Aufgewühltheit nicht mehr unterdrücken. Agatha ging in Dianas Zimmer, wo sie die junge Dame
in einem weißen Schlafrock vor ihrem Spiegel antraf; die kastanienbraunen Locken reichten ihr bis zu den Knien. Agatha ergriff Dianas Hände und erzählte ihr die Geschichte von der leidenschaftlichen Liebe des jungen Engländers, erzählte ihr, dass er sich an jenem Tag, als Diana sie allein auf der Bank am Meer zurückgelassen hatte, zu ihr gesetzt und mit ihr geredet und dass sein ehrwürdiger Diener erst vor wenigen Stunden mit ihr ein Gespräch über dasselbe Thema gesucht hatte. Diana hörte ihr zunächst mit leicht geröteten Wangen, dann mit abweisender, beinahe grausamer Miene zu.
    « Erbarme dich seiner», sagte Agatha Josling,« erbarme dich seiner und besuche ihn.»
    « Ich verstehe es nicht», sagte ihre Gefährtin,« und ich empfinde es als sehr lästig. Was habe ich denn mit Mr Longstaff zu schaffen?»Doch ehe sie auseinandergingen, hatte Agatha sie überredet, nicht nein zu sagen, sollte tatsächlich eine Nachricht vom Totenbett des jungen Mannes eintreffen, und ihm die Gunst ihrer Gegenwart nicht zu verweigern.
    Die Nachricht kam tatsächlich, überbracht, wie nicht anders zu erwarten, vom rührigen Kammerdiener des Kranken. Er erschien am nächsten Morgen erneut und erklärte, sein Herr
bitte ergebenst um die Ehre einer zehnminütigen Unterredung mit den beiden Damen. Sie willigten ein, ihm zu folgen, und er geleitete sie zu Mr Longstaffs Unterkunft. Dianas Miene zeigte noch immer Spuren ihres Unmuts, was sie indes mehr denn je wie die leicht aufbrausende Jagdgöttin aussehen ließ. Geführt von dem alten Mann, schritten sie durch eine niedrige grüne Tür in einer gelben Mauer und durch einen verwilderten Garten voller Orangenbäume und Winterrosen und betraten dann einen weißgetäfelten Salon, wo er sie sogleich vor einer großen klassischen Empire-Uhr allein ließ, die auf dem Sims eines kalten südlichen Kamins thronte. Sie mussten jedoch nur wenige Augenblicke warten; die Tür zum angrenzenden Zimmer ging auf, und die Barmherzigen Schwestern mit ihren weißgeflügelten Hauben und über Kreuz in den weiten Ärmeln ihres Gewandes verborgenen Händen traten heraus und blieben mit gesenktem Blick zu beiden Seiten der Tür stehen. Dann tauchte der alte Diener zwischen ihnen auf und bedeutete den beiden jungen Mädchen, näher zu treten. Diese kamen der Aufforderung mit einem gewissen Zögern nach, und er geleitete sie in das Zimmer des Sterbenden. Mit einer Geste zum Bett hin zog er sich schweigend zurück
und verließ den Raum, ohne jedoch die Verbindungstür zum Salon zu schließen, wo er bei den Barmherzigen Schwestern Posten bezog.
    Diana und ihre Gefährtin standen in der Mitte des abgedunkelten Zimmers dicht beieinander und warteten darauf, dass der Mann, der nach ihnen geschickt hatte, sie aufforderte, näher zu kommen. Er lag, die Arme auf der Decke ausgestreckt und von Kissen gestützt, in seinem Bett. Einen Moment lang blickte er die beiden jungen Damen einfach an; er war so weiß wie das Betttuch, das ihn zudeckte, und machte fraglos den Eindruck eines Sterbenden. Dennoch hatte er die Kraft, sich vorzubeugen und mit leiser, deutlicher Stimme zu sprechen.
    « Wären Sie so freundlich, näher zu treten?», sagte Mr Longstaff.
    Agatha Josling schob ihre Freundin sanft vorwärts, trat dann aber ebenfalls ans Bett. Da stand Diana nun, ihre finstere Miene war verschwunden; der junge Mann sank in seine Kissen zurück und sah sie an. Sein Gesicht bekam ein wenig Farbe, und er faltete die Hände auf der Brust. Eine Weile lang starrte er das schöne Mädchen vor ihm einfach an. Für Diana war es eine unangenehme Situation, und Agatha rechnete jeden Augenblick damit, dass sie sich voller Widerwillen
abwenden würde. Doch allmählich wich der Eindruck stolzer Selbstüberwindung, der Eindruck mechanischer Willfährigkeit, den sie bisher erweckt hatte, einer Haltung, aus der Geduld und Mitgefühl sprachen. In den Zügen des jungen Engländers spiegelte sich eine Art spiritueller Verzückung, die der Situation unübersehbar etwas eigentümlich Weihevolles verlieh.
    « Es war sehr edelmütig von Ihnen, dass Sie gekommen sind», sagte er schließlich.«Ich hatte es kaum zu hoffen gewagt. Ich nehme an, Sie wissen… Ich

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