James, Henry
nehme an, Ihre Freundin, die mir so freundlich zuhörte, hat Ihnen alles erzählt?»
« Ja, sie weiß es», warf Agatha leise ein,«sie weiß es.»
« Ich wollte eigentlich, dass Sie es erst nach meinem Tod erfahren», fuhr er fort,«aber» – er machte eine kurze Pause und presste die gefalteten Hände zusammen –«ich konnte nicht warten! Und als mir klar wurde, dass ich nicht warten konnte, kam mir ein neuer Gedanke, regte sich ein neuer Wunsch in mir.»Wieder schwieg er einen Moment, den verehrungsvollen Blick noch immer flehentlich auf Diana gerichtet. Die Röte auf seinem Gesicht wurde intensiver.«Es geht um etwas, was Sie für mich tun könnten. Sie werden es für eine äußerst ungewöhnliche Bitte
halten; doch in meiner Lage wird man kühn. Verehrtes Fräulein, wollen Sie mich heiraten?»
« Gütiger Himmel!», rief Agatha Josling kaum vernehmbar. Ihre Gefährtin sagte nichts – ihre Haltung schien allerdings auszudrücken, dass sie in dieser außergewöhnlichen Situation nichts mehr überraschen konnte. Doch sie ließ Mr Longstaffs Antrag die Ehre zuteil werden, langsam in einem Sessel Platz zu nehmen, den man neben sein Bett gestellt hatte; hier saß sie, den Blick gesenkt, in jungfräulicher Majestät.
« Es wird mir helfen, glücklich zu sterben, da ich ja nun einmal sterben muss!», fuhr der junge Mann fort.«Es wird mich in die Lage versetzen, etwas für Sie zu tun – das Einzige, was ich noch tun kann. Ich habe Besitz – Ländereien, Häuser, viele schöne Dinge – Dinge, die ich geliebt habe und die zurückzulassen mich schmerzt. Als ich lange Tage so hilf- und hoffnungslos dalag, kam mir der Gedanke, welch ein Segen es wäre, sie in Ihren Händen zu wissen. Wären Sie meine Frau, ruhten sie dort sicher. Es könnte Ihnen viel Ungemach ersparen, doch das allein ist es nicht. Für mich geht es noch um etwas anderes. Um das Gefühl, das es mir geben würde! Ich liebe das Leben. Ich möchte nicht sterben, aber da ich nun einmal sterben muss, empfände ich es als
großes Glück, dem Leben just das abgerungen zu haben: dass wir uns vor einem Priester die Hände reichen. Danach könnten Sie fortgehen. Für Sie würde sich nichts ändern – es wäre keine Bürde für Sie. Mir aber wären ein paar Stunden vergönnt, in denen ich daliegen und über mein Glück nachdenken könnte.»
Im Ton des jungen Mannes lag etwas so Schlichtes und Aufrichtiges, so Sanftes und Eindringliches, dass Agatha Josling zu Tränen gerührt war. Sie wandte sich ab, um sie zu verbergen, und ging auf Zehenspitzen ans Fenster, wo sie ihnen schweigend freien Lauf ließ. Auch Diana blieb offensichtlich davon nicht unberührt. Sie hob die Augen und ließ den Blick freundlich auf Mr Longstaff ruhen, der mit leiser Stimme fortfuhr, sich für seinen Vorschlag einzusetzen.« Es wäre ein gutes Werk», sagte er,«ein großer Gunstbeweis, und es hätte keinerlei Folgen, die Sie bedauern müssten. Ihre Freiheit kann dadurch nur noch größer werden. Sie wissen sehr wenig über mich, aber ich habe das Gefühl, dass Sie mir doch in gewissem Grade glauben, und mehr verlange ich gar nicht. Ich verlange nicht, dass Sie mich lieben – das braucht Zeit. Und ich kann nicht so tun, als hätte ich die. Sie brauchen lediglich in die Formalitäten einzuwilligen, sich
zu der Zeremonie bereit zu erklären. Ich habe mit dem englischen Geistlichen gesprochen; er sagt, er wird sie vollziehen. Er wird Ihnen außerdem alles über mich erzählen – dass ich ein englischer Gentleman bin und dass der Name, den zu tragen ich Ihnen anbiete, einer der besten auf der ganzen Welt ist.»
Es war befremdend, einen Mann auf dem Totenbett seine Argumente so vernünftig und unbeirrt vorbringen zu hören; doch nun hatte er offenbar alles gesagt. Ein tiefes Schweigen trat ein, und Agatha hielt es für angebracht, sich taktvoll zurückzuziehen. Leise begab sie sich ins Nebenzimmer, wo die beiden Barmherzigen Schwestern noch immer mit den Händen in den Ärmeln dastanden und der alte italienische Diener, wie ein ratloser Diplomat, mit einer melancholischen Geste eine Prise Schnupftabak nahm. Agatha drehte ihnen den Rücken zu, trat abermals an ein Fenster und blickte auf die Orangenbäume und Winterrosen im Garten hinaus. Ihr schien, sie habe eben den schönsten, romantischsten und inbrünstigsten Heiratsantrag gehört. Wie könnte Diana sich dafür unempfänglich zeigen? Agatha hoffte inniglich, ihre Gefährtin werde in die feierliche, bewegende Zeremonie
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