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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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Anspruch zu nehmen. Ist auch er kein Dummkopf, schmälert das den erwiesenen Dienst nicht; im Gegenteil, dass er dem Durchschnitt überlegen ist, erleichtert es ihm, von der Hilfe zu profitieren. Ambrose Tester hatte in der Vergangenheit mehr als einmal zu mir gesagt, mir als Amerikanerin könne er Dinge erzählen, die er seinen eigenen Leuten nicht anvertrauen
würde. Er hatte dies, wie ich bereits andeutete, früher schon erprobt, und ich muss gestehen, amerikanischer Herkunft zu sein war bei ihm zuweilen eine fragwürdige Ehre. Ich weiß nicht, ob er uns für diskreter und verständnisvoller hält (sofern er seine Meinung inzwischen nicht geändert hat: in meinem Fall hat er sie geändert) oder lediglich für unempfindlicher, für weniger leicht zu erschüttern; fest steht jedoch, dass er, wie manch andere Engländer, die ich kennengelernt habe, offenbar der Ansicht war, ich würde mir, in delikaten Fällen, ein umfassendes Urteil bilden. Wenn ich ihn nach den Gründen fragte, weshalb er uns Amerikanern hier den Vorzug gab, begnügte er sich damit, auf britisch-oberflächliche Weise zu sagen:«Ach, ich weiß es nicht; ihr seid halt anders!»Ich erinnere mich, dass er einmal bemerkte, unsere Eindrücke seien lebhafter. Und ich bin mir sicher, dass er mich nun unter anderem aufgrund meiner Staatsangehörigkeit in den Genuss jenes Geständnisses kommen ließ, das ich eben erwähnte. Zumindest nehme ich nicht an, dass er herumgegangen wäre und zu allen möglichen Leuten gesagt hätte:« Wissen Sie, ihr Mann wird wahrscheinlich sterben; warum also sollte ich Lady Vandeleur nicht heiraten?»

    Das war die Frage, die sein ganzes Auftreten und Mienenspiel mir stellten und die ich nach einem Augenblick zu ignorieren beschloss. Warum sollte er sie nicht heiraten? Es gab einen triftigen Grund, weshalb er es nicht tun sollte. Es würde Joscelind Bernardstone schlichtweg umbringen; deshalb sollte er es nicht tun! Die Vorstellung, dass er dazu bereit sein könnte, machte mir Angst, und gleichgültig, für wie unabhängig er meinen Standpunkt auch halten mochte – ich hatte keinerlei Lust, eine solche Schändlichkeit zu erörtern. Ich empfand es vom ersten Augenblick an als Schändlichkeit, und ich hatte an meinem Urteil diesbezüglich nie Zweifel. Ich bin immer froh, wenn ich gleich auf den ersten Blick weiß, was ich von einer Sache zu halten habe; es ist ein Segen, ohne langes Abwägen und Vergleichen zu fühlen , was für eine Haltung man zu etwas einnimmt. Es ist auch eine große Stütze und ein großer Luxus. Das war, wie ich eben sagte, bei dem Gefühl so, das diese glorreiche Idee Ambrose Testers in mir weckte. Für grausam und rücksichtslos hielt ich sie damals, und für grausam und rücksichtslos hielt ich sie auch später, als sie mir aufgenötigt wurde. Ich wusste, dass es viele Leute gab, die meine Meinung nicht teilten, und ich kann nur für sie hoffen,
dass sie ebenso schnell und eindeutig zu ihrer Überzeugung gelangt waren wie ich zu meiner; alles hängt davon ab, was man im ersten Augenblick empfindet. Aber ich will noch eine Bemerkung anfügen. Ich war damals überzeugt, dass ich recht hatte, und ich bin noch immer davon überzeugt; doch ich finde es bedauerlich, dass mir so viel daran gelegen war, recht zu behalten. Warum konnte ich mich nicht damit zufriedengeben, unrecht zu haben? Nicht darauf verzichten, meinen Einfluss auszuüben (besaß ich doch offenbar diese mystische Kraft), und meinen jungen Freund tun lassen, was er wollte? Würden Sie angesichts der Situation, wie Sie sie in Doubleton beobachtet haben, nicht auch sagen, man müsse sich fragen, ob man der jüngeren Dame letzten Endes wirklich einen Dienst erwiesen hat?
    Jedenfalls gab ich, wie ich schon sagte, Ambrose Tester durch nichts zu erkennen, dass ich verstand, was er meinte, dass ich vermutete, worauf er hinauswollte. An jenem Tag bekam er nicht zu hören, was er von mir hören wollte; allerdings gelang es ihm dann später doch noch, mich in die Sache hineinzuziehen. Ich äußerte mein Bedauern über Lord Vandeleurs Zustand, fragte nach Art und Ursache seiner Erkrankung,
verlieh der Hoffnung Ausdruck, sie werde sich nicht als so ernst erweisen, wie möglicherweise zu befürchten war, sagte, ich würde meine Aufwartung machen, um mich nach seinem Befinden zu erkundigen, bemitleidete taktvoll Lady Vandeleur und ließ, kurz gesagt, meinem jungen Mann keinerlei Chance. Er wusste, dass ich seine arrière-pensée 10 erraten hatte, bedrängte

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