James, Henry
auf dem, was ihr Zukünftiger mir erzählte. Das beweist, dass er durchaus positiv über sie sprach, dass er sprach, als glaubte er wirklich, er tue etwas Gutes. Es lag mir auf
der Zunge, ihn zu fragen, wie sie Lady Vandeleur gefiel, verkniff mir aber zum Glück diese unpassende Bemerkung. Er mochte sie ganz offensichtlich, wie ich schon sagte; jeder mochte sie, und als ich sie dann kennenlernte, mochte ich sie sogar noch lieber als die anderen. Heute mag ich sie mehr denn je; das sollten Sie wissen, wenn Sie diese Schilderung ihrer Situation lesen. Es beeinflusst zweifellos das Bild, das ich zeichne, lässt mich das Befremdliche betonen, das meine kleine Geschichte meiner Ansicht nach hat.
Joscelind Bernardstone entstammte einer Soldatenfamilie und war in Feldlagern groß geworden – womit ich keinesfalls sagen will, sie sei eine jener anrüchigen jungen Frauen, die als Soldatenliebchen bekannt sind. Sie stand in der Blüte ihrer Jugend, sie war streng behütet aufgewachsen und hatte, als einzige Tochter, eine«ganz persönliche»Erziehung durch die vortreffliche Lady Emily erhalten (General Bernardstone hatte eine Tochter von Lord Clanduffy geheiratet), die wie ein rosagesichtiges Kaninchen aussieht und (nach Joscelind) eine der nettesten Frauen ist, die ich kenne. Als ich Mutter und Tochter, einige Wochen nachdem die Hochzeit, wie man hier sagt,«arrangiert»war, auf einem Landsitz
kennenlernte, gewann Joscelind meine Zuneigung, als sie, in ihrer schüchternen Offenheit, zu mir sagte (ich fühlte mich bei ihren Worten wie sechzig), sie müsse mir dafür danken, dass ich zu Mr Tester so freundlich gewesen sei. Sie haben sie ja in Doubleton gesehen, und Sie werden sich erinnern, dass sie zwar nicht von ebenmäßiger Schönheit ist, dennoch aber manch hübschere Frau sehr froh wäre, wenn sie aussähe wie sie. Sie ist so frisch wie ein eben erst gelegtes Ei, so leicht wie eine Feder, so stark wie ein Postpferd. Sie ist äußerst sanft, dabei aber intelligent genug, um auch schlagfertig zu sein, wenn sie es möchte. Mir ist nicht bekannt, dass man intelligente Frauen automatisch für unfreundlich hält, aber es gilt in der Regel als ausgemacht, dass liebenswürdige Frauen sehr beschränkt seien. Lady Tester widerlegt diese Theorie, die von einer zänkischen Frau stammen muss, die nicht intelligent war. Sie empfindet eine Bewunderung für ihren Gatten, in der sie ganz aufgeht, ohne dass sie das im Mindesten töricht machte, es sei denn freilich, es ist töricht, bescheiden zu sein, was ich in dieser rohen Welt zuweilen glaube. Ihre Bescheidenheit ist so groß, dass unglücklich zu sein ihr bis jetzt als eine Form von Egoismus erschien – jenes Egoismus, den zu kultivieren
sie zu viel Feingefühl besitzt. Sie ist sich keineswegs sicher, dass es nicht schlicht an ihren eigenen Erwartungen liegt, wenn die Ehe mit ihrem schönen Baronet nicht der Idealzustand ist, den sie sich erträumte. Es beschreibt ihren gegenwärtigen Zustand nicht, wenn man sagt, sie sei unglücklich oder enttäuscht oder fühle sich verletzt. All dies ist unterschwellig zu spüren; offensichtlich allerdings ist, dass sie verstört ist – sie versteht einfach nicht, was da vor sich geht, und ihre Verstörtheit berührt mich zutiefst. Sie sucht nach irgendeiner Erklärung, nach einer Erleuchtung. Zuweilen richtet sie den Blick forschend und stumm auf mich oder auf andere und versucht, in unseren Augen zu lesen, als könne ich – als könnten sie – ihr sagen, ihr erklären, was geschehen ist. Ich kann es sehr wohl erklären – aber nicht ihr, sondern nur Ihnen!
III
Es bedeutete eine glänzende Partie für Miss Bernardstone, die über keinerlei Vermögen verfügte, und alle ihre Freunde waren der Meinung, sie habe es sehr gut getroffen. Nach Ostern hielt sie sich mit ihren Angehörigen in London auf, und
ich sah sie alle sehr häufig – genau genommen suchte ich den freundschaftlichen Verkehr mit ihnen. Sie hätten mich vielleicht sogar für ein wenig gönnerhaft halten können, wären sie auf einen solchen Gedanken überhaupt gekommen. Aber das sind sie nicht; es ist nicht ihre Art. Engländer neigen dazu, irgendwelche Motive zu unterstellen – manche unterstellen sogar viel üblere Motive, als wir armen Einfaltspinsel in Amerika zu erkennen vermögen, ja als sie uns jemals zu Ohren gekommen sind. Aber das tun nur einige; andere tun es nicht, sondern halten es für selbstverständlich, dass alles wörtlich zu nehmen und ehrlich gemeint ist.
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