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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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inneren Aufruhrs wegen, von dem ich bereits sprach. Mir kommt wieder in den Sinn, was sie sagte und wie sie es sagte, und ich dachte damals, wenn sie bei den Tugendpredigten, die
sie Mr Tester hielt, auch so hübsch aussah, war es kein Wunder, dass er sich wünschte, die Predigt ginge ewig weiter.
    « Ich nehme an, Sie wissen, dass wir alte Freunde sind; aber das ändert nichts an der Sache, oder? Nichts könnte mich dazu bewegen, ihn zu heiraten – ich habe keinerlei Absicht, mich wieder zu verheiraten. Seine Lordschaft ist noch keine sechs Monate tot, da denke ich nicht ans Heiraten. Das Mädchen ist mir gleichgültig; ich weiß nichts über sie und ich will auch nichts wissen, aber es täte mir sehr, sehr leid, wenn sie unglücklich wäre. Er ist der beste Freund, den ich je hatte, aber das ist doch kein Grund, ihn zu heiraten, nicht wahr?», wandte sie sich an mich, ohne indes meine Antwort abzuwarten; sie hatte mich unwillkürlich um Rat gefragt, sich dann jedoch daran erinnert, dass es unter ihrer Würde wäre, entstünde der Eindruck, sie hätte ihn nötig.«Ich habe ihm gesagt, wenn er sich nicht korrekt verhielte, würde ich nie wieder mit ihm sprechen. Alle sagen, sie sei ein bezauberndes Mädchen, und ich bezweifle nicht, dass sie ihn vollkommen glücklich machen wird. Ich glaube, Männer empfinden manches nicht so wie Frauen, und wenn man sie verhätschelt und ihnen schmeichelt, vergessen sie alles andere.

    Ich bezweifle nicht, dass sie das sehr gut kann. Ich jedenfalls muss, wenn ich einmal zu einer bestimmten Überzeugung gelangt bin, auch entsprechend handeln. Die Menschen sind so schrecklich – sie tun so entsetzliche Dinge. Sie scheinen nicht darüber nachzudenken, was ihre Pflicht sein könnte. Ich weiß nicht, ob Sie viel darüber nachdenken, aber von Zeit zu Zeit sollte man es wirklich tun, meinen Sie nicht auch? Alle sind so selbstsüchtig, und ohne dass sie selbst jemals eine Anstrengung unternommen oder ein Opfer gebracht hätten, kommen sie zu einem und reden jede Menge scheinheiliges Zeug daher. Ich weiß doch viel besser als jeder andere, ob ich heiraten sollte oder nicht. Aber ich will Ihnen gern sagen, dass ich keinen Grund sehe, warum ich es tun sollte. Ich befinde mich in keiner so schlechten Lage – mit meiner Freiheit und einem passablen Unterhalt.»
    In dieser Weise redete sie weiter, ernst und mitteilsam und nicht ohne sich bisweilen zu widersprechen; sie sprach nicht schnell (das tat sie nie), sondern ließ, mit kurzen Pausen dazwischen und mit einer klangvollen Stimme, die stets einen Teil des Zaubers ihrer Gegenwart ausmachte, einen schlichten Satz nach dem anderen fallen. Sie wollte sich wider ihr besseres
Wissen etwas einreden, und es half ihr, sich selbst argumentieren zu hören. Ich war durchaus bereit, ihr als Publikum zu dienen, auch wenn ich mich meinerseits auf sehr oberflächliche Bemerkungen beschränken musste, denn als ich gesagt hatte, dass das von mir befürchtete Ereignis Miss Bernardstone umbringen würde, hatte ich alles gesagt, was von meiner Seite zu sagen war. Abgesehen davon hatte ich nichts mit Lady Vandeleurs Heiratsplänen zu tun. Vermutlich enttäuschte ich sie. Sie hatte einen Blick auf die moralische Schönheit der Selbstaufopferung erhascht, auf ein Ideal menschlichen Verhaltens (das, wie ich glaube, völlig neu für sie war), und hätte wohl gern mir als jemandem, der einige Lebenserfahrung besaß, die Versicherung entlockt, dass solche Freuden nicht zu unterschätzen seien. Ich wollte sie keinesfalls in eine spirituelle Verzückung versetzen, die sich unweigerlich rasch wieder verflüchtigt hätte, und ließ sie reden, wie ihre Stimmung es ihr gerade eingab, ohne mich darauf festlegen zu lassen, dass sie in der Entsagung den Weg zur Seligkeit fände. Ich war überzeugt, sie würde entsprechend leiden, gäbe sie Mr Tester frei, sah darin aber keinen Grund, ihn nicht freizugeben. Bevor ich sie verließ, sagte sie zu mir, nichts könnte
sie dazu bewegen, etwas zu tun, was sie nicht für richtig hielte.«Es machte mir sonst keine Freude, verstehen Sie das nicht? Ich würde immer denken, eine andere Lösung wäre besser gewesen. Nichts könnte mich dazu bewegen – nichts, nichts!»

VIII
    Sie beteuerte dies vielleicht gar zu sehr, doch der weitere Gang der Dinge zeigte, dass sie es ernst meinte. Ich habe meine ersten beiden Besuche bei ihr recht detailliert beschrieben, aber es waren nicht die einzigen, die ich ihr abstattete. Ich sah sie noch mehrere

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