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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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Male, bevor sie die Stadt verließ, und wir wurden vertraut miteinander, oder was man in London vertraut nennt. Sie hörte mit ihren Beteuerungen auf (zu meiner Erleichterung, denn sie machten mich nervös), sie verhielt sich sehr sanft und würdevoll und vernünftig, und etwas in ihrem Aussehen und ihrer Art zu sprechen sagte mir, dass ihr für den Augenblick die Entsagung selbst Lohn genug war. Bisher hatte sich meine Skepsis als unberechtigt erwiesen; ihre spirituelle Verzückung hielt an. Hätte ich damals vorhersehen können,
dass sie bis zu dieser Stunde anhalten würde, hätte ich Lady Vandeleur wahrlich für sittlich höherstehend gehalten, als ich selbst es bin. Von ihr erfuhr ich, dass Mr Tester sich noch bei seinem Vater aufhielt und dass Lady Emily und ihre Tochter ebenfalls dort waren. Der Tag für die Trauung war festgesetzt geworden, und die Vorbereitungen schritten rasch voran. Unterdessen stand sie – das erzählte sie mir zwar nicht, doch ich entnahm es verschiedenen Äußerungen, die sie fallenließ – in fast täglichem Briefwechsel mit dem jungen Mann. Angesichts seiner bevorstehenden Vermählung hielt ich dies für einen befremdlichen Umstand; doch offenkundig waren die beiden entschlossen, sich von nun an gegenseitig davon zu überzeugen, dass die Fackel der Tugend ihnen mit ihrem Schein den Weg wiese, und offenkundig konnten sie sich gegenseitig gar nicht genug davon überzeugen. Sie deutete mir gegenüber an, sie habe ihn inzwischen (per Brief) tatsächlich dazu bewegen können einzusehen, dass er einen schrecklichen Fehler beginge, sollte er versuchen, sein Glück auf einem Unrecht aufzubauen, das er einem anderen Menschen zufügte, und dass sie, sein Elend stets vor Augen, (in einer Verbindung mit ihm) natürlich niemals glücklich sein könnte.
Dass es eines regen Briefwechsels bedurfte, um all dies zu klären, ist genaugenommen vielleicht nicht weiter verwunderlich. Als wir eines Tages (kurz bevor sie die Stadt verließ) wieder einmal beisammen saßen, brach sie plötzlich in Tränen aus. Ehe wir uns trennten, sagte ich zu ihr, dass es in London mehrere Frauen gebe, die ich sehr mochte – was ja nur normal sei –, vor ihr aber hätte ich große Achtung, und das sei selten. Ich habe noch immer Achtung vor ihr, und manchmal macht mich das wütend.
    Etwa Mitte Januar tauchte Ambrose Tester wieder in der Stadt auf. Er sagte, er sei gekommen, um sich von mir zu verabschieden. Er werde bald geköpft. Es hatte keinen Sinn zu behaupten, an alten Beziehungen ändere sich nichts, nur weil ein Mann heiratet; es würde sich etwas ändern, alles würde sich ändern. Ich hatte gewollt, dass er heiratete; nun würde ich sehen, wie es mir gefiel. Er erwähnte nicht, dass ich auch gewollt hatte, dass er nicht heiratete, und ich war mir sicher, wäre Lady Vandeleur seine Frau geworden, wäre sie ein weitaus größeres Hindernis für unsere harmlose Freundschaft gewesen, als Joscelind Bernardstone es jemals sein könnte. Ich brauchte nicht lange, um festzustellen, dass er sich in genau der gleichen Verfassung befand
wie Lady Vandeleur. Er entdeckte gerade, wie süß es ist, Hand in Hand mit einem geliebten Menschen Entsagung zu üben. Auch auf ihn war der Friede des Herrn herabgekommen. Er erzählte, wie sehr sein Vater sich über die in Kürze bevorstehende Hochzeit freue, über die Festlichkeiten, die, wenn er seine Braut heimführe, in Dorsetshire stattfinden würden. Die einzige Anspielung, die er auf das machte, worüber wir bei unserem letzten Zusammensein gesprochen hatten, war der unvermittelte Ausruf:«Wie leicht sie es mir gemacht hat! Sie ist so liebenswert, so edel! Sie ist wirklich vollkommen!»Ich nahm selbstverständlich an, er spreche von seiner künftigen Frau, doch als es gleich darauf zu einem Missverständnis kam, merkte ich, dass er Lady Vandeleur meinte. Dies schien mir wahrlich kein gutes Zeichen – es beschäftigte mich auch noch, nachdem er gegangen war. Ich war beinahe versucht, ihm einen kurzen Brief zu schreiben, um ihm zu sagen:«Es gibt etwas, was vielleicht noch bedrohlicher ist, als wenn Sie Miss Bernardstone den Laufpass gäben, nämlich die Gefahr, Ihr Bruch mit Lady Vandeleur könnte zu einem Band werden, das stärker ist, als wenn Sie sie geheiratet hätten. Lassen Sie Ihr Opfer um Himmels willen auch wirklich
ein Opfer sein; weisen Sie ihm den Platz zu, der ihm gebührt!»
    Natürlich habe ich nicht geschrieben; selbst die geringe Verantwortung, die ich schon auf

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